Tom saß noch immer auf ihrer Bettkante, doch nichts war mehr zu spüren von dem furchteinflößenden Mann, der Hermine ihren Erfolg im Duell missgönnt hatte. Wie gebannt saß er da, die Augen geschlossen, und ließ sich offensichtlich berauschen von der reinen Magie, die noch immer um sie herum wirbelte. Hermine konnte nicht anders, als zu lächeln. Sie fühlte das Pulsieren auch, eine Energie, die die Luft um sie herum auflud. Zum ersten Mal seit sie damals erfahren hatte, dass sie eine Hexe ist, fühlte sie sich wirklich mächtig. Überlegen. Besser.

Ohne darüber nachzudenken, streckte sie die Hand nach Tom aus, um seine zu ergreifen. Langsam öffnete er die Augen und schaute beinahe verwundert an sich herunter. Ihre zärtliche Geste schien ihn aus dem Konzept zu bringen. Doch seine Verwunderung hielt nicht lange.

Hart schloss sich seine Hand um ihr Handgelenk: „Was ist das?"

Stirnrunzelnd blickte Hermine auf ihren nackten Arm. Und dann traf sie die Erkenntnis mit voller Wucht.

Ihr Arm war unbedeckt. Die Entfesselung ihrer Magie hat ihr die Kontrolle über einen wichtigen Zauberspruch geraubt, den sie seit ihrer Zeitreise konstant aufrechterhielt.

Deutlich sichtbar prangte das Wort „Schlammblut" auf ihrem Arm.

Blass starrte sie einfach nur auf das Wort. Sie erinnerte sich noch zu gut daran, wie Bellatrix Lestrange es ihr in den Arm geritzt hatte. Sie hatte nie in ihrem Leben so viel Angst verspürt wie damals, als sie in der Villa Malfoy gefangen gehalten wurde. Die Schmerzen alleine waren schon schlimm genug gewesen, doch die ganze Zeit hatte sie sich gefragt, ob diese wahnsinnige Frau sie danach einfach dem Werwolf überlassen würde. Gänsehaut breitete sich auf ihrem Körper aus.

„Hermine", peitschte Toms Stimme unnachgiebig durch den Raum: „Ich frage nicht noch einmal. Was ist das?"

Was sollte sie ihm sagen? Was konnte sie ihm sagen? Er hatte schon mit genug Verachtung reagiert, als er herausgefunden hatte, dass ein Elternteil von ihr nicht magischen Blutes war. Ausgerechnet jetzt, wo sie ihm näher als je zuvor gekommen war.

„Es ist eine alte Narbe. Jemand hat mir das Wort Schlammblut in den Arm geritzt", sagte sie langsam. Sie wusste selbst, dass das nicht die Art von Antwort war, die er hören wollte, doch was sollte sie tun? Gehetzt fiel ihr Blick zur Tür – müsste die Krankenschwester nicht sehr bald wiederkommen? Wenn sie ihn lange genug hinhalten konnte …

Nein, das war keine Lösung. Sie musste sich dem Problem jetzt stellen, die Karten offen auf den Tisch legen. Wenn sie auch nur einen Funken Vertrauen behalten wollte, musste sie Tom reinen Wein einschenken. Was wusste sie über seine Vergangenheit? Konnte sie sich irgendeine Geschichte ausdenken, die er ihr nicht nur glauben würde, sondern die ihn vielleicht sogar milde stimmen würde? Sie durfte den Fortschritt, den sie gerade erreicht hatte, nicht wieder verlieren.

„Danke für das Offensichtliche", kam es höhnisch von Tom, der noch immer ihren Arm fest umklammert hielt. Eisige Kälte lag in seiner Stimme, doch seine Augen loderten vor Wut. Mit präzise artikulierten Worten hakte er nach: „Wieso sollte irgendjemand einem Halbblut dieses Wort auf den Arm ritzen? Welchen Sinn ergibt das, liebste Hermine? Verstehst du meine Verwirrung darüber? Wärst du so frei, mich aufzuklären, wie ich das hier verstehen soll?"

Mit einer wohl kalkulierten Geste legte Hermine ihre freie Hand auf seine, die ihr Handgelenk umklammert hielt: „Ich bin ein Schlammblut, Tom. Meine beiden Eltern waren Muggel."

Als habe er sich verbrannt, ließ Tom sie los und sprang vom Bett auf. In derselben Sekunde hatte er seinen Stab gezückt und auf sie gerichtet: „Ein Schlammblut? Wie kann das sein, wenn Aberforth Dumbledore, der ja angeblich dein Vater ist, hier im Dorf arbeitet und offensichtlich ein Zauberer ist?"

Langsam wurde Hermine bewusst, dass ihre Lüge so viele Konsequenzen mit sich gezogen hatte, dass sie diese nun kaum noch überschauen konnte. Wenn sie nicht Hermine Dumbledore war, wer war sie dann? Sie konnte ihm kaum ihren echten Namen nennen, sonst würde er in der Zukunft sofort stutzig werden, wenn er von Harry Potters Freundin erfuhr. Verzweifelt fuhr sie sich durchs Haar: „Natürlich ist er nicht mein Vater."

„Noch eine Lüge also", zischte Tom: „Was stimmt sonst noch alles nicht? Hast du überhaupt jemals ein echtes Wort gesprochen? WER bist du?"

Schaudernd legte sie ihre Arme um sich. Ihre eigene Magie war schon lange nicht mehr zu spüren, stattdessen schien der ganze Raum ergriffen von Toms gewaltiger Energie. Hermine fragte sich besorgt, ob er wirklich in der Lage war, diese Menge an Magie zu beherrschen, oder ob sie nicht ganz kurz vor einer magischen Katastrophe standen.

„Ich bin … Hermine", flüsterte sie stockend: „Hermine … May. Und es ist nicht alles gelogen. Meine Mutter … sie hatte einst eine kurze Beziehung zu Aberforth Dumbledore, aber … es wurde nichts draus. Sie ist tatsächlich nach Amerika ausgewandert und hat dort einen Muggel geheiratet. Dass ich eine Hexe bin, ist reiner Zufall. Sie blieb auch nach der Trennung immer mit Dumbledore in Kontakt und als sich herausstellte, dass ich eine Hexe bin, hat er ihr eröffnet, dass er Zauberer ist. Aber … Schlammblüter sind nicht gerne gesehen in Amerika. Eine Gruppe von Schülern aus meiner Schule dort, aus … Ilvermorny … sie haben mich in den Schulferien heimgesucht. Meine Eltern getötet und mir … diese Narbe verpasst. Damit für immer jeder weiß, was ich bin."

„Warum bist du hier?"

Sie rollte mit den Augen. Wie viel mehr musste sie sich noch aus dem Stehgreif ausdenken, um Tom zum Schweigen zu bringen? Hastig kramte sie in ihrem Gedächtnis nach all den Dingen, die sie zuvor über ihren angeblichen Vater gesagt hatte: „Ich konnte kaum in Amerika bleiben, mh? Also habe ich Aberforth Dumbledore geschrieben und ihm gesagt, ich wäre tatsächlich seine Tochter. Ich habe ihm von dem Vorfall erzählt. Es fiel ihm nicht schwer zu glauben, dass ich seine Tochter bin. Wie oft kommt es schließlich vor, dass zwei Muggel eine Hexe oder einen Zauberer zur Welt bringen? Der Rest … stimmt. Weder er noch Professor Dumbledore wissen wirklich über mich Bescheid."

Noch immer senkte Tom seinen Stab nicht, und auch der Ausdruck in seinen Augen war noch immer voller Misstrauen und Hass: „Du willst mir erzählen, dass Dumbledore das einfach so geschluckt hat? Ich kenne deinen angeblichen Vater ja nicht so gut, aber nie und nimmer kauft Albus Dumbledore irgendeinem Menschen einfach so eine Lüge ab."

Hermine schnaubte. Natürlich. Dumbledore hatte Tom nie die Lüge geglaubt, dass er ein strebsamer, braver, um seine Mitschüler bemühter Schüler war, und deswegen war es generell unmöglich, Dumbledore zu belügen. Natürlich. Sie gab einen verächtlichen Laut von sich: „Denkst du? Da steht ein Mädchen, das gerade ihre Eltern verloren hat, Zeuge eines grausamen Mordes geworden ist, mit einer Schlammblut-Narbe gekennzeichnet, und bittet um Zuflucht. Denkst du, dass jemand wie Dumbledore da erstmal Hintergedanken hat und an der Aufrichtigkeit zweifelt? Er ist ein verdammter Gryffindor, Tom. Wenn er Gutes tun kann, tut er es, ohne zu fragen, ohne zu denken."

Sie konnte sehen, wie sich bei ihren abfälligen Worten seine Augen kurz weiteten. Über seine Abneigung gegen Dumbledore konnte sie immer an Tom gelangen. Ein anderer Gedanke stieg in ihr hoch, ein Gedanke, der sich beinahe augenblicklich in Worte formulierte. Sie erschauderte vor sich selbst.

„Weißt du, Tom", sagte sie langsam, den Kopf zur Seite geneigt, als stünde er nicht gerade mit dem Zauberstab vor ihr und bedrohte nicht gerade ihr Leben: „Ich hatte gehofft, in Hogwarts neu anfangen zu können. Als reinblütige Hexe. Oder zumindest als Halbblut. Für jemanden wie dich ist es vermutlich unvorstellbar, aber ich hasse Muggel. Ich verachte meine Mutter, dass sie einen Zauberer hat sitzen lassen, um diesen anderen Mann zu nehmen. Es war erbärmlich, wie hilflos sie der Magie meiner Klassenkameraden ausgeliefert waren. Muggel sind schwach. Aber ich bin stark, stärker als die meisten Zauberer. Ich war stärker als alle in Ilvermorny, das haben meine Lehrer gesehen. Doch sie wussten alle, dass ich Muggel als Eltern habe. Also konnte ich nie gute Noten haben. Ein Schlammblut kann nicht besser sein als der Spross einer großen, reinblütigen Familie."

Innerlich sammelte Hermine jedes Bisschen Hass, den sie verspürt hatte, wann immer sie jemand wegen ihres Blutes herabgewürdigt hatte, und drehte das in vor Verachtung tropfende Beleidigungen, die sie selbst nicht glaubte. Sie spürte, wie es in ihr loderte, als sie fortfuhr: „Ich war beinahe froh, meine Eltern endlich los zu sein. Ein neues Leben, niemand weiß, dass ich ein Schlammblut bin. Endlich kann ich zeigen, dass ich eine mächtige Hexe bin. Ich muss nicht mehr die brave, strebsame Hexe sein, die zu allem Ja und Amen sagt, um auch nur ein Lächeln von einem Lehrer zu bekommen. Hier in Hogwarts werde ich behandelt, wie es mir schon immer zugestanden hat: Als eine Hexe mit unvorstellbarer Macht. Hier muss ich mich nicht länger verstecken, nur weil ich das Pech hatte, Muggeleltern zu haben."

Selbstbewusst blickte sie Tom direkt in die Augen: „Und ich werde nicht zulassen, dass mir das irgendjemand nimmt. Auch du nicht, Tom."

Langsam ließ er seinen Stab sinken, ohne dabei seinen Blick von ihr abzuwenden. Er hielt ihr stand, genauso, wie sie ihm standhielt. Es war, als suche er nach der Lüge in ihren Worten, doch die ehrliche Wut, die in ihr loderte, die jahrelang erfahrene Demütigung, nur weil sie eine muggelgeborene Hexe war, gaben ihr genug Glaubhaftigkeit, um seinem forschenden Blick standzuhalten. Oder zumindest hoffte sie das. Es war Blödsinn, dass muggelgeborene Hexen oder Zauberer schwächer waren als reinblütige. Sie wusste, sie war der beste Beweis dafür, und ihre Eltern waren der beste Beweis dafür, dass Muggel ebenso wie Zauberer herzensgute, wichtige, liebende Menschen waren, die ebenso stolz auf dieser Welt wandeln konnten wie alle anderen. Doch gerade in dieser Zeit, im England der vierziger Jahre, stand sie mit dieser Ansicht alleine da. Es tat gut, einfach mal all ihren Hass gegen jene, die sie diskriminierten, von der Seele zu reden, auch wenn sie es in ein anderes Gewand kleidete.

Das Misstrauen schwand aus Toms Augen, um stattdessen einem Lächeln, das seine Mundwinkel umspielte, Platz zu machen. Er trat wieder näher an sie heran und legte eine Hand auf ihre Wange: „Langsam verstehe ich, warum du eine Slytherin bist. Ich dachte immer, du trägst dein Herz auf der Zunge wie ein Gryffindor. Doch in Wirklichkeit .. in Wirklichkeit … bist du genauso wie ich."

Mit angehaltenem Atem schaute Hermine zu ihm auf. Hatte es geklappt? Hatte sie Tom Riddle tatsächlich von sich überzeugt? Ihr Herz machte einen kleinen Satz, als sie spürte, wie sein warmer Daumen sachte über ihre Lippen streichelte: „Du bist also eine Muggelgeborene. Eine Hexe ohne jede magische Wurzeln. Faszinierend."

Sie lehnte sich in seine Berührung: „Ich weiß es nicht. Vielleicht waren Vorfahren von mit Zauberer. Ich konnte nie nachforschen."

Er beugte sich zu ihr hinab, bis seine Augen auf ihrer Höhe waren: „Das solltest du aber. Schau, als ich das erste Mal nach Hogwarts kam und sah, dass ich mich mit all diesen reinblütigen Zauberern ohne Probleme messen kann, da wurde mir bewusst, dass ich nicht einfach ein Halbblut sein konnte. Ich wusste einfach, dass irgendwo in meiner Familie starkes, magisches Blut fließen musste. Und ich habe nicht aufgegeben, bis ich meine Ahnen gefunden habe. Der Erbe von Slytherin. Egal, wie viel Muggelblut sich dazu mischt, sein Blut ist immer stärker als alles andere, das kann niemand besudeln. Mein Blut ist reiner und mächtiger als das aller anderer hier, so viel sie auch auf ihre Reinblütigkeit geben. Und ich bin mir sicher, dasselbe ist bei dir der Fall."

Am liebsten hätte sie mit den Augen gerollt. Natürlich. Sie konnte nur stark sein, weil sie in Wirklichkeit irgendwo mächtige Ahnen hatte. Doch sie begriff, sie musste dieses Spiel mitspielen: „Ich bin es leid, dass alle auf mich herabschauen. Als ich noch nicht wusste, dass ich eine Hexe bin, haben mich alle wie eine Außenseiterin behandelt, weil ich einfach so viel leichter lernen konnte und so … anders war. Sie haben mich gehasst, einfach nur, weil ich anders war. Und als ich dann nach Hog… nach Ilvermorny kam, als ich dachte, dass endlich alles besser wird, da haben mich alle auch nur wieder ausgegrenzt."

Der Teil stimmte sogar. Sie hatte es tatsächlich nicht leicht gehabt in ihrer Zeit vor Hogwarts, und gerade Ron hatte ihr zu Beginn ihrer Schulzeit als Hexe das Leben schwer gemacht. Nicht, dass er ein böser Mensch gewesen war. Sie wusste nur einfach zu gut, wie man ihn reizen konnte, das hatte sie später gemerkt.

Beinahe hätte nicht bemerkt, dass Tom sich ihr noch weiter genähert hatte. Seine Lippen berührten ihre fast, als er leise flüsterte: „Lass niemals zu, dass du dich kleiner machst, als du bist, nur weil andere dich dann vielleicht eher mögen. Wenn die anderen mit deiner Macht nicht umgehen können, ist das ihr Problem. Sie sind neidisch auf dich. Lass dich davon nicht runterziehen, sondern bade in dem Wissen, dass du etwas hast, was sie niemals haben können."

Seine letzten Worte hatte er beinahe nur gehaucht, ehe er den letzten minimalen Abstand überbrückte und mit seinen Lippen zärtlich über ihre strich. Ein nervöses Flattern bemächtigte sich ihres Magens. Gegen ihren Willen musste Hermine zugeben, dass seine Worte eine große Verlockung waren. Sie hatte es satt, dass andere Minderwertigkeitskomplexe hatten, nur weil sie leichter lernen konnte und mit ihrer Magie mehr bewirken konnte. Vor allem Ron schien darunter immer wieder zu leiden. Sie hatte immer Rücksicht darauf genommen und sich bemüht, ihren beiden besten Freunden ihre Überlegenheit nicht ganz so arg unter die Nase zu reiben. Auf die Idee, sich einfach nicht darum zu kümmern, sondern einfach sie selbst zu sein, sie Hermine, die mächtige Hexe, war sie nie gekommen. Ihr gutes Herz hatte das nie zugelassen.

Aber hier, in Toms Armen, mit seinen Lippen, die so sinnlich über ihre fuhren, seine warme Hand noch immer auf ihrer Wange, während die andere hauchzart ihre Schenkel durch die Decke hindurch streichelte, hier im Jahr 1944 erschienen diese Bedenken plötzlich klein und unsinnig.

Was hielt sie eigentlich davon ab, einfach offen dazu zu stehen, dass sie mächtig war? Dass sie mächtiger war als so ziemlich alle anderen. Und vor allem: dass sie neuerdings auf noch viel mehr magische Energie zugreifen konnte als üblich!

Seufzend schloss sie die Augen, um sich ganz dem Kuss hinzugeben.


Das war ja eine kurze Pause. Wo ist denn nur der August hin? Nunja ... wie dem auch sei, hier ist der zweite Teil meiner Reue-Trilogie. Ich hoffe, ihr habt alle am Gleis 9 3/4 den Zug gefunden oder wurdet erfolgreich von den Weasleys mit dem Auto eingesammelt. So oder so, ihr seid hier, mit mir, und das ist alles, was zählt! Auf ein weiteres, wundervolles Jahr mit Hermine, Tom ... und Abraxas! Viel Spaß mit "Reue II - In der Kammer"!

Ich werde hier wieder dazu übergehen, einmal die Woche zu updaten! Lasst mir Feedback da, wie euch der Auftakt gefallen hat :)