9. Kapitel

Mit einem fassungslosen Blick starrte Bakura den Baseballschläger direkt neben seinem Kopf an, der immer wieder ungeduldig an den Turnschuh seines Hikari tippte. Das breite Grinsen eben dieses Hikaris versuchte der Grabräuber geflissentlich zu übersehen, als er sich wieder aufsetzte und seinen Angreifer genauer beäugte.

„DER ist k.o. ... Superschlag Ryou!" Yugi hockte neben den bewusstlos am Boden liegenden Eingeborenen und zeigte Ryou den hoch erhobenen Daumen, während Yami hinter ihm eher den Eindruck machte, als wolle er seinen Aibou am liebsten unter den Arm nehmen und möglichst weit von dieser potentiellen Gefahr wegtragen.

Kopfschüttelnd drehte sich Bakura wieder zurück, nur um festzustellen, daß ihn sein Hikari zuckersüß anlächelte – und zwar haargenau 10cm vor seiner eigenen Nase! Die Situation kam ihm gefährlich bekannt vor, nur war sie diesmal völlig verquer und behagte dem Grabräuber gar nicht.

Zu allem Überfluss änderte sich der Gesichtsausdruck fast schon lasziv, als Ryou die Augen halb schloss und mit leicht geöffneten Lippen näher kam. Bakuras Augen weiteten sich in blanker Panik.

„Jetzt schuldest du mir etwas", flüsterte der sonst so ruhige Junge seiner dunklen Hälfte in einer gefährlich zweideutigen Tonlage ins Ohr. Dieser hätte schwer geschluckt, wenn er auch nur noch einen Tropfen Spucke im Mund gehabt hätte, und so sah er ohne zu schlucken dabei zu, wie sein ‚Licht' von diesem beängstigenden Extrem wieder in seine alte Rolle verfiel und mit dem typisch unschuldigen Lächeln zu Yugi herübersah.

„Leute lasst uns schnell weiterspielen. Mit etwas Glück könnte jetzt jeder der als nächstes dran ist, dieses verfluchte Spiel beenden." Ohne eine Antwort abzuwarten, griff er nach dem Arm seines Freundes und zog diesen zum Spielbrett zurück.

Ein leises Chuckeln erklang hinter dem völlig verstörten Grabräuber.

„Na? Hat dich dein Hikari bei den E..."

„KLAPPE!" schnitt Bakura dem Pharao vor plötzlich aufsteigender Wut kochend das Wort ab. Dieser honorierte den Ausbruch mit einem mitfühlenden Schultertätscheln, wobei er sich sein Kichern hart zu unterdrücken bemühte.

„Wie ich dir sagte, Grabräuber, wir reifen aneinander... Und nun hoch mit dir, daß wir das hier endlich hinter uns bringen. Danach kannst du dich wieder vor ihm in deinem Ring verkriechen..."

„WER SAGT, DAß ICH DAS TUE! Bakura stand wie ein geölter Blitz mit einem Mal Aug in Aug mit dem Pharao und ließ ein wütendes Knurren hören, welches Yami jedoch nur lässig mit einem Schulterzucken zur Kenntnis nahm. Mit einem „Dann ist's ja gut..." ließ er Bakura stehen und setzte sich zu Yugi.

Seufzend schüttelte der Grabräuber noch einmal den Kopf, griff nach dem Speer, der noch in der Erde steckte und schleuderte ihn achtlos beiseite, bevor er sich – äußerst schlecht gelaunt – im Schneidersitz zum Rest der Gruppe gesellte. Ein kritischer Blick nach hinten zeigte ihm, daß sein letztes Rätsel noch immer völlig betäubt am Boden lag. Dann wandte er sich wieder der Gruppe zu.

„Was ist?" Die plötzliche, angespannte Stille irritierte Bakura fast noch mehr, als alles andere vorher. Nur war seine Verwirrtheitsskala anscheinend schon ganz oben angekommen.

Yugi sah als erster vom Spielfeld auf.

„Wenn Ryou eine 12 würfelt, ist das Spiel vorbei..."

Höchst konzentriert, ließ dieser noch während Yugis Erklärung die Würfel ins Spielbrett sausen, nur um die Würfel schließlich mit einer 3 und einer 5 zurückgrinsen zu lassen.

Außer Ryous enttäuschtem Seufzer war nichts zu hören. Selbst Bakura zuckte nur mit den Schultern.

„Der Gegner wird stärker, das Risiko zu viel. Es ist besser ihr beendet jetzt das Spiel"

„Klingt wie: ihr seid zu gut, also mache ich das Spiel schwerer", kommentierte Yami trocken und im gleichen Moment begann es von der Decke zu tropfen und nur wenige Augenblicke darauf regnete es allen ernstes innerhalb der Schule.

„Ehm, ich mag mich zwar irren, aber stand die Schule nicht in einer Senke? Wir sollten vielleicht eine höhere Spielebene ansteuern..." überlegte Bakura laut und die Augen aller wanderten zur Treppe hinüber, die in den ersten Stock führte.

Mit einem ohrenbetäubenden Krachen flog im Naturwissenschaftstrakt eine Tür aus den Angeln und ein Kriechen hallte ihnen lautstark entgegen.

„Wir sollten den Vorschlag schnellstens in die Tat umsetzen denke ich", entschloss sich Yami, griff mit einer Hand seinen Aibou am Kragen und mit der anderen das Spiel am Boden und steuerte auf die Treppe zu.

Noch bevor sie die Hälfte der Strecke hinter sich hatten, holten baumstammdicke Ranken sie ein und schlängelten sich an den Säulen empor, die die Decke hielten. Einige kleinere Ableger schlangen sich um die Lampen und nur Sekunden später stand die vierköpfige Truppe in totaler Finsternis, während ihnen das Wasser schon bis über die Knöchel ging.

„Tastet euch vorsichtig vor! Wir müssen unbedingt eine Etage höher!" Yugi und Ryou übernahmen die Führung, da sie den Weg zur Treppe zumindest instinktiv auswendig konnten und nach einigem Stolpern erreichten sie die Stufen.

„Na prima... und jetzt würfeln wir im Dunkeln weiter?" Bakuras Stimme klang mehr als angepisst über die ganze Situation. Aber er hatte die Frage noch nicht ganz zuende gestellt, als direkt hinter ihm ein unheimliches Glühen einsetzte. Mit fassungslosem Gesichtsausdruck drehte er sich herum und starrte die Blüte hinter ihm an, die locker einen Meter Durchmesser hatte und ein schwaches, fluoreszierendes Licht ausstrahlte.

Nach und nach tauchten diese Blüten an verschiedenen Stellen an den Ranken auf und legten die gesamte Umgebung in ein dämmriges Licht, daß zumindest ausreichte, um die Umgebung klar erkennen zu können.

„Na, wenigstens sind diese Ranken so zu etwas Nütze", murmelte Yami vor sich hin und klappte das Spielbrett wieder auf, um seinen Zug zu machen.

Das grüne Schimmern seines Rätsels zauberte schaurige Schatten auf sein Gesicht, als er es laut vorlas.

„Als Götter verehrt, durch Nisten vermehrt, zieht es sein Opfer herab, in sein nasses Grab."

Ein lautes Platschen riss alle aus ihren Überlegungen und Sekunden später lugten vier Köpfe vorsichtig über das umwucherte Geländer der 1. Etage. Zunächst sahen sie nichts als das unruhige Wasser, das der mittlerweile nur noch nieselnde Monsun hereingetragen hatte. Allerdings musste es mittlerweile hüfthoch stehen. Das nächste, was die Gruppe im Halbdunkel dort unten ausmachen konnte waren glitzernde Schuppen die wild im Kreis schwammen und sich aneinander rieben. Im nächsten Moment klatschten Wasserfontänen an die Wände der Halle und ein drohendes, einem Knurren ähnlichen Geräusch hallte von allen Seiten zurück.

„Pharao, du hast ein unglaubliches Talent... Das sind Nilkrokodile. Mindestens sechs Stück und ganz eindeutig gereizt und hungrig", stellte Bakura halblaut fest.

„Und sie sind die größten Krokodile, die es zur jetzigen Zeit gibt soweit ich weiß..." fügte Ryou tonlos hinzu. Die Begeisterung über diese neue Plage war ihm jedoch überdeutlich anzusehen.

„Aber immerhin sind sie da unten, oder?" Konterte Yami, darum bemüht, der Gruppe etwas Mut zuzusprechen. Die beiden weißhaarigen Jungen sahen ihn mit großen Augen an.

„Ähm, ich will ja die Hoffnungen nicht im Keim ersticken Leute, aber können Krokodile eigentlich Treppensteigen?" Yugis Miene zeigte eindeutig, daß er doch ernsthaft daran zweifelte, daß sie das nicht konnten. Mit einem tiefen Seufzer griff Yami nach Pfeil und Bogen und legte sich beides um die Schultern.

„Was hast du vor?" Der Blick, den Yugi auf seine Frage bekam, beantwortete die Frage im Grunde schon und sorgte dafür, daß sich das Gefühl von Sorge in Richtung Panik verlagerte.

„Ich habe sie gewürfelt, also halte ich sie auch auf", schlussfolgerte Yami ohne jegliche emotionale Regung zu zeigen.

„Dann komme ich mit!" konterte der Hikari bestimmt.

„Und wer spielt dann weiter? Keine Sorge Aibou, ich will da unten bestimmt keinen Zweikampf riskieren. Ich bleibe in Reichweite... Und nun sieh zu, daß ihr das Spiel beendet, okay?" Der Pharao setzte einen seiner Blicke auf, denen man einfach nicht widersprechen konnte.

Zweifelnd biss sich Yugi auf die Unterlippe. Er wollte nicht, daß Yami etwas zustieß. Anderseits hatte er in sofern recht, daß jeder von ihnen nun die Chance auf einen Zieleinlauf hatte – und somit auf ein Ende dieses zum Leben erwachten Albtraums. UND es bedeutete, daß danach alles wieder so sein würde wie vor Beginn des Spiels. Dieser letzte Gedanke ließ Yugi schwer schlucken, denn vermutlich sah er Yami das letzte Mal mit eigenem Körper bevor das Spiel am Ende alles wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzte...

Aus einem plötzlichen Impuls heraus umarmte er seine dunkle Hälfte fest und hauchte ihm schließlich einen Kuss auf die Wange.

„Wehe du lässt dich fressen", drohte Yugi mit leicht geröteten Wangen, während Yami ihn zunächst nur irritiert anstarrte. Dann schlich sich ein undeutbares Lächeln auf seine Züge.

„Ich doch nicht. Bis gleich, Aibou." Mit diesen Worten zwinkerte er Yugi zuversichtlich zu und stieg schließlich die eckig gewundene Treppe halb hinab, um nach den Krokodilen Ausschau zu halten.

‚Ich fass es nicht', ging es Yugi schlagartig durch den Kopf. ‚Hab ich das eben wirklich getan?' Er schlug sich die Hand vor die Stirn und verfluchte sich innerlich dafür, daß er sich von Jonouchi dieses impulsive Handeln anscheinend etwas ZU intensiv abgeguckt hatte.

Er holte ein- zweimal Luft und huschte schließlich schleunigst zum Spielbrett zurück und würfelte.

„Halte durch, du darfst nicht wanken, gleich fängt der Boden an zu schwanken."

Wie im Einklang rissen die drei verbliebenen Freunde entsetzt die Augen auf und sprangen vom Boden auf, als dieser auch schon seicht zu rütteln begann.

„Wieso würfelt ihr ständig solch gefährliche Dinge?" fluchte Bakura lautstark vor sich hin, während er das Spielbrett griff.

„Keine Zeit fürs Fluchen", keuchte Ryou entsetzt und packte seine dunkle Hälfte am Handgelenk, um ihn in den nächstbesten Türrahmen zu zerren.

Währenddessen verstärkte sich das Beben und direkt vor Yugis Füßen begann sich ein Riss seinen Weg zu bahnen und die Erschütterung ließ ihn zurück taumeln und zu Boden stürzen.

Im gleichen Moment hallte von etwas tiefer gelegen ein ungehaltener Fluch hinauf.

„Was zum Henker ist jetzt wieder!"

Eilig kämpfte Yugi um sein Gleichgewicht und darum, schnellstmöglich die Treppe zu erreichen.

„Yami! Komm schnell hoch! Ich fürchte, ich hab ein Erdbeben gewürfelt!"

„Du hast WAS!" Die Stimme überschlug sich fast während der Frage und ging nahtlos in ein Fluchen über, als der Boden stärker erzitterte und bereits deutlich sichtbare Zeichen zu erkennen waren, daß die Treppe diese Belastung nicht mehr lange aushalten würde.

Höchst konzentriert nahm Yami zwei Stufen gleichzeitig, um noch rechtzeitig vor dem bevorstehenden Einsturz die ‚Zeitbombe' zu verlassen, doch die bisher stärkste Erschütterung fegte ihn gnadenlos von den Füßen und ließ die Treppe unter ihm langsam Stück für Stück wie morsches Holz nachgeben.

In dem Moment wo er instinktiv nach dem Geländer griff, stürzte die untere Hälfte endgültig in sich zusammen und verursachte dort ein gewaltiges Platschen, gefolgt von aggressiv klingenden Drohgebärden der Krokodile.

/Jetzt sind die Viecher mir auch unheimlich/ dachte Yami bei sich als die Krokodile sich unter ihm zu versammeln schienen. Zu allem Überfluß schien der Regen wieder zuzunehmen, denn das Wasser unten in der Halle begann wieder anzusteigen und der Pharao spürte, wie seine Finger nach und nach von dem nassen, immer glitschiger werdenden Metall rutschten.

Ein erschrockenes Keuchen zog seine Aufmerksamkeit nach oben und er fluchte kurz auf, als ihm die Regentropfen die Sicht nahmen. Als das Brennen in Yamis Augen von den Wassertropfen nachließ, öffnete er sie einen Spalt breit und sah wieder nach oben – nur um geschockt festzustellen, daß seinen Hikari anscheinend der Wahnsinn gepackt hatte, da er grade dabei war, die Überreste der Treppe hinabzuklettern.

„AIBOU! Was soll das?" Ein kleineres Rütteln am Gebäude schüttelte das Geländer wie einen Ast im Wind und Yami konzentrierte sich erschrocken erst einmal darauf, nicht endgültig abzurutschen, sondern einen festeren Griff zu bekommen. Dann fokussierte er seinen Blick wieder auf Yugi, der während der Erschütterung ebenfalls keine Regung getan hatte.

„Kletterst du wohl wieder hoch!" Die karmesinfarbenen Augen verengten sich ärgerlich und Yami legte so viel Befehl in seinen Tonfall, wie er in seiner Situation zustande brachte. Allerdings klang es eher verzweifelt aufgrund der Tatsache, daß ihm die Anstrengung so langsam aber sicher die Luft nahm und die Taubheit in die Arme schießen ließ.

„Nein, werde ich nicht", konterte Yugi entschieden und die amethystfarbenen Augen schimmerten trotzig. Noch bevor Yami etwas erwidern konnte, zog er etwas an dem Seil, daß er vorhin mitgenommen und sich jetzt um die Hüfte und oben an das Geländer gebunden hatte. Es rutschte ein Stück nach und Yugi kletterte weiter vorsichtig die brüchigen Überreste der Treppe hinab, bis er fast auf eine Armeslänge an seine dunkle Hälfte herangekommen war.

Dann schätzte er die Situation kritisch ab und sah schließlich zu Yami herüber.

„Wie stehen die Chancen, daß du es schaffst mir deine Hand zu reichen?

„Eher schlecht, schätze ich", seufzte Yami angestrengt und sog im nächsten Moment scharf die Luft ein, als das im Freien baumelnde Geländer etwas nachgab.

Yugi zog konzentriert die Augenbrauen zusammen und sah sich hastig um, nur um festzustellen, daß er von keiner Seite nah genug an Yami herankam, um nach ihm greifen zu können. Ein frustriertes Fluchen entwich seinen Lippen, was seine dunkle Hälfte trotz der misslichen Situation zu einem Smirken bewegte.

„Du fluchst?"

„Hey... ganz so unschuldig bin ich nun auch nicht", gab Yugi leicht gereizt zurück, dann fiel sein Blick wieder auf seine ‚Rettungsleine' und er schätzte die verbliebene Länge ab. Dann fokussierte er wieder die Stelle, an der sich Yami an das Geländer klammerte und ein entschlossenes Glimmen schlich sich in seine Augen. Im gleichen Moment bekam Yami eine Ahnung davon, was sein Hikari vor hatte.

„Aibou? Du hast nicht zufällig das vor, was ich denke?" Die einzige Antwort, die er bekam war ein fast schon schelmisches Grinsen, bevor Yugi die erste Hand an das Geländer legte. Es knartschte leicht, hielt dem provisorischen Druck, den er darauf ausübte aber stand.

„AIBOU!"

Den warnenden Tonfall in Yamis Stimme ignorierend, holte er zweimal tief Luft, legte beide Hände um den kalten, nassen Stahl und ließ sich langsam in den Abgrund sinken, um nicht zu viel Bewegung in den Stahl zu bringen.

Den entsetzten Blick seiner dunklen Hälfte erwiderte er mit einem breiten Grinsen bevor er sich langsam das Stück zu Yami herüberhangelte.

„Aibou, du bist verrückt", kommentierte dieser und schüttelte den Kopf. „Und wie ging dein Plan weiter?" fragte Yami neugierig, als Yugi keine Anstalten machte, weitere Anweisungen zu geben.

„Ehm..."

„Sag nicht, soweit warst du noch nicht..." Ungläubige, rotschimmernde Augen starrten seinen Counterpart an.

„Doch schon... aber irgendwie ist es schon schwierig mich selbst zu halten... Also müssen wir Plan B nehmen..."

„Und Plan B ist? Ich häng mich bei dir an und wir pendeln aus, bis wir das Seil hochklettern können?"

Yugi blinkte Yami verwirrt an, bis dieser irritiert blinzelte und mit leichtem Entsetzen feststellte, daß er soeben allem Anschein nach Plan B enttarnt hatte.

„Bei RA!"

„Eine andere Möglichkeit haben wir kaum, also komm schon..." In diesem Moment schien die Hölle loszubrechen, als überall um sie herum durch den stärksten Schub des Erdbebens größere Brocken von Wänden und Decken fielen. Mit weitem Entsetzen sahen beide zu, wie der Teil vom ersten Stock langsam gen Boden sank, an dem der letzte Rest der Treppe hing.

In der Sicherheit des Türrahmens sahen sowohl Bakura als auch Ryou mit Entsetzen, daß Yugi sich mitten im Erdbeben dazu anschickte, sich zu Yami die Treppe hinabzuseilen. Einen warnenden Schrei von Ryou ignorierte er geflissentlich und stieg - mit einem selbstsicheren Zwinkern zu den Beiden herüber - die Überreste der Treppe hinab.

„Das ist doch Wahnsinn", flüsterte Ryou fassungslos, bevor ihm klar wurde, daß er vermutlich nur bedingt anders gehandelt hätte.

Mit einem Fluchen trat Bakura wieder auf die freie Fläche hinaus und ignorierte seinen Hikari geflissentlich, der auf ihn einredete, daß es nach den Sicherheitsübungen in der Schule in den Türrahmen am sichersten war.

„Wir können nicht ewig warten, Hikari" knurrte er knapp und blieb mitten auf einer dicken Ranke stehen, die sich über den Boden gestreckt hatte.

„Das ist ein guter Platz... die Ranke wird so bald nicht einstürzen..." Bakura klappte die Deckel auseinander und griff nach den Würfeln. Sein Ergebnis war nicht zufriedenstellend.

„Beim Würfeln nicht zu mogeln bringt aber auch gar keine Vorteile", murrte er frustriert und las das Rätsel vor.

Fehlt dir eine helfende Hand, gib acht, wir haben acht davon mitgebracht."

„Spinnen", flüsterte Ryou mit weit aufgerissenen Augen. Bakura starrte seinen Hikari an und grinste dann breit. „Gut geraten."

Ryou schüttelte nur den Kopf und deutete hinter Bakura, wo den ganzen Gang entlang im Moment des Rätsels Spinnenweben aufgetaucht waren. Und in der Mitte dieser gewobenen Netze saß eine riesige Spinne, die die beiden Jungen noch überragte.

Fluchend trat Bakura einen Schritt zurück als ihn ein plötzlicher Kampfschrei von der Seite mitten im Schritt innehalten ließ. In vollem Lauf preschte der Krieger aus seinem vorigen Rätsel in den Geist des Millenniumsringes, dem die Überraschung ins Gesicht geschrieben stand. Die Begleiterscheinung dieses Aufpralls nahm Ryou mit einem Zucken wahr. Wenn er sich nicht sehr verhört hatte, mussten einige Rippen dem entgegenkommenden Angreifer nachgegeben haben. Und Bakura war deutlich anzusehen, daß er seit längerem von Schmerzen dieser Art verschont geblieben war. Zumindest die letzten 3000 Jahre lang...

(1)

Mit entsetzt aufgerissenen Augen beobachtete Ryou, wie sein Gegenpart den Angreifer mit einer Mischung aus Schmerz und Überraschung anstarrte. Dann änderte sich der Ausdruck und die Kampfeslust stieg in die Emotionen mit ein und gewann die Überhand. Mit einer gewaltigen Anstrengung stieß er den Eingeborenen aus dem Spiel zurück und folgte ihm direkt, so daß ein Gerangel entstand, das beide immer weiter in Richtung der Netze trieb.

Noch während Ryou eine Warnung zurief, gab es eine weitere, ziemlich starke Erschütterung und beide Kontrahenten landeten in den klebrigen Fäden der Spinne, die auch sogleich ihren massigen Körper in Bewegung zu setzen begann, um ihre frisch eingetroffene Beute einzuspinnen.

„Ryou! Du musst würfeln!" Bakura zerrte mit aller Kraft an den Fäden, verstrickte sich dadurch aber nur noch tiefer in der haftenden Falle.

Verzweifelt schüttelte Ryou den Kopf, um einen klaren Gedanken zu fassen. Dann hastete er über den bröckeligen Boden zum Spiel herüber, wo seine dunkle Hälfte vor dem überraschenden Angriff gestanden hatte, und ergriff die Würfel. Sein Blick erfasste das Spielfeld und blieb an seiner Figur haften. Nur noch vier Felder bis zum Ziel. Die Chancen standen zwar gut, doch das Spiel hatte sie schon öfter böse überrascht. Und wenn er es nicht schaffte, war Yami wieder dran... Skeptisch sah er zu der Stelle herüber, wo Yugi sich noch vor wenigen Augenblicken abgeseilt hatte und stellte entsetzt fest, daß die letzte Erschütterung den Rest der Treppe und einen guten Teil der ersten Etage mit sich in die Tiefe gerissen hatte. Und von seinem Blickfeld aus konnte er nicht erkennen, ob die zwei dort unten überhaupt in der Lage waren zu würfeln.

Bedenken stiegen auf und ließen Ryou an sich zweifeln. Ihr aller Leben hing an einem seidenen Faden – und eben diesen hielt wie es aussah ausgerechnet er in Händen!

Verzweifelt versuchte Bakura weiterhin, sich von dem ekligen, klebrigen Zeug zu befreien das sich um Arme, Beine und sonst noch überall hin geschlungen hatte. Schließlich gab er es auf und hoffte, daß sein Hikari dem Grauen jetzt ein Ende setzen würde. Zu seiner Überraschung aber hockte dieser vor dem Brett, hielt die Würfel in der zittrigen Faust und starrte auf eben diese.

‚Was zum Henker macht der da eigentlich?' Schoß es ihm wütend durch den Kopf und tat seinen Unmut laut kund.

„HEY! Würdest du jetzt ENDLICH diese VERDAMMTEN Würfel werfen! So schwer kann's nicht sein!"

In dem Atemzug, in dem ihn Ryou mit glasigem, resignierten Blick ansah, wünschte er sich, er hätte einfach den Mund gehalten. Er konnte die Selbstzweifel seines Gegenparts spüren und Kuras große Klappe hatte die ganze Situation noch gesteigert wie es aussah.

Verärgert biss er sich auf die Unterlippe. Er war mit Sicherheit kein guter Partner, das hatte er von vornherein gewusst. Und nun auch abermals grandios bewiesen.

Anstatt seinen Gegenpart zu unterstützen, verunsicherte er ihn noch mehr. Zum allerersten Mal beneidete der Grabräuber den Pharao um die Art, wie er scheinbar mühelos mit dem kleinen Naivling eine perfekte Einheit bildete.

Als hätte ihm einer die Lösung vor die Nase gehalten, begann sich eine Lösung in ihm anzubahnen. Wie hatte der Pharao gesagt? Sie würden aneinander lernen? Was würde Ryou wohl in so einer Situation tun?

Er würde sicherlich in seiner ruhigen und sanften Art Mut zusprechen...

Bakuras Mimik schwebte irgendwo zwischen ‚unmöglich' und ‚so tief sinke ich nicht'.

Doch der sich nähernde Spinnenkörper war durchaus ein überzeugendes Argument.

/Hikari/

Ryou blinzelte ein paar mal verwirrt, bis er die Stimme zuzuordnen schien und überrascht aufsah. Es schien schon eine Ewigkeit her zu sein, daß er die Stimme seines Yamis über den Link vernommen hatte... und damals war es völlig anders als jetzt gewesen. Der sanfte Ton machte ihn schon fast misstrauisch, wenn er sich nicht sicher gewesen wäre, daß durch den Link nichts im Verborgenen blieb.

/Zweifel nicht an dir. Ich weiß du kannst es schaffen.../

Das klang nun so gar nicht, nach seiner garstigen dunklen Hälfte, aber die Worte waren ehrlich und er spürte mit Sicherheit, daß Bakura sich alle Mühe gab, seine Geduld zu wahren und seinem Hikari Mut zuzusprechen. Ein äußerst eigenartiges Kribbeln befiel Ryous Magen bei dem Gedanken, dass sein Gegenpart sich um ihn sorgte. Nur konnte er es absolut nicht zuordnen und andere Dinge waren momentan wichtiger, darum schob er es beiseite.

/Aber... was ist wenn ich es NICHT schaffe/

Ryou war sich sicher, daß sein Gegenpart innerlich sein breitestes Grinsen aufsetzte, äußerlich blieb er jedoch völlig ruhig.

/Darüber machen wir uns dann Gedanken – jetzt lass die Dinger endlich fallen/

Und da ging die Geduld des Grabräubers dahin. Dennoch hatte er erreicht, wofür er über seinen Schatten gesprungen war, denn mit entschlossenem Gesichtsausdruck ließ er die beiden elfenbeinfarbenen Kuben fallen. Sie prallten an den Kanten des Brettes ab und drehten sich auf ihren Spitzen. (2)

Der erste Würfel kam zum erliegen und zeigte dem nervösen Betrachter zwei Augen, doch während der zweite noch taumelte, spürte Ryou zwei schmerzende Einstiche an seiner Schulter und hörte zeitgleich den markerschütternden Schrei von Bakura, der außerstande war, seinem Licht zu helfen.

Die rehbraunen Augen - fast schon mehr überrascht als erschrocken – fixierten ungläubig die linke Schulter, in die sich soeben zwei riesige Fänge gebohrt hatten. Direkt über ihm kauerte eine riesenhafte Spinne und noch während er sich fragte, wie er auf die Idee gekommen war, daß es nur eine gäbe, fühlte Ryou wie sich die lähmende Wirkung des Giftes in seinen Arm ausbreitete und langsam auch in die anderen Körperteile zu kriechen begann.

In genau dieser Sekunde beendete der zweite Würfel seinen Tanz – und zeigte sechs ebenholzfarbene Punkte! Fast schon in Zeitlupe schob sich die Spielfigur vor, bis sie direkt auf dem gewölbten Glas zum Stehen kam und unter ihr das scheinbar grundlose Schwarz in einem hellen Grün erleuchtete, bis sich nach und nach Buchstaben formten. Doch Ryou wusste auch so, was gleich dort stehen würde. Er hoffte nur, daß er noch in der Lage sein würde, das Wort auszusprechen.

Er schluckte ein paar mal schwer, um die Trockenheit des Mundes abzuwehren und nahm sein letztes bisschen Kraft zusammen, als er das Wort aussprach, auf das sie alle so lange gewartet hatten.

„...Jumanji..."

Zunächst herrschte einfach nur Stille. Als wäre die Schule um sie herum in einem Vakuum gefangen, daß keine Geräusche duldete...

Dann schien die Hölle loszubrechen.

Alles um Ryou herum schien loszubrüllen, als stünde ihr Ende bevor und genaugenommen war genau das der Fall! Nach und nach wurden Spinnen, Eingeborener, Leopard, Ranken und was ihnen nicht noch alles vom Spiel auf den Hals gehetzt worden war wieder eingesaugt wie von einem gigantischen Kinder-Staubsauger, der kleine bunte Kügelchen aufsaugte.

Der unglaubliche Sog betraf zwar nur die Kreaturen aus dem Spiel aber der raue Wind der diese Aktion begleitete zerrte gewaltig an den Umrissen des schlanken Jungen, der nun direkt neben dem Spielbrett kauerte und regungslos darauf wartete, daß das Chaos ein Ende hatte.

Nach einer kleinen Ewigkeit erstarb das Kreischen, Fiepen und Knurren und ließ nichts als Stille zurück.

„Ryou? Ist es vorbei?"

Das war eindeutig Yugis Stimme die ihn soeben angesprochen hatte. Ungläubig blinzelnd ließ Ryou die Hände sinken und sah sich irritiert um, nur um festzustellen, daß er auf dem hellen, flauschigen Teppich aus Yugis Zimmer hockte – direkt vor dem Spielebrett Jumanji auf dessen ‚Gesicht' vier umgeworfene Figuren und zwei Würfel verstreut lagen.

Instinktiv tastete er nach seiner Schulter, doch nicht mal das Hemd schien zerrissen.

„Es scheint vorbei zu sein... Wir haben es geschafft!" jauchzte Ryou begeistert und sprang auf die Beine. Kurz darauf schlugen die beiden Jugendlichen ihre Hände begeistert gegeneinander.

„Ich kann daran gar nichts lustiges finden", kam eine murrende Stimme aus einer dunklen Ecke und das eben noch so strahlende Gesicht von Ryou wurde zu einem fassungslosen Starren ins Leere.

„Kura?" Zweifelnd drehte er sich um und sah seiner dunklen Hälfte direkt in die Augen.

„Wer sonst? Und immer noch mit eigenem Körper", kommentierte er missmutig und kniff sich in den Arm. Dann knurrte er erneut frustriert, als ihm sein Hikari freudig um den Hals sprang und ihn einmal kurz, aber sehr fest drückte. Der Grabräuber wusste selbst nicht warum, aber er ließ es bereitwillig über sich ergehen.

„Also ich weiß nicht... mir gefällt die Vorstellung..." Yugi drehte sich entgeistert um und sah seinem Yami direkt in die karmesinfarbenen, leuchtenden Augen, von denen er geglaubt hatte, sie nach dem Spiel auf diese Art nicht mehr wieder zu sehen. Fassungslos blinzelnd tappste er auf Yami zu, die Augen nie von dessen Augen abwendend, die strahlten als würde er übers ganze Gesicht grinsen. Vor seinem Gegenpart angekommen, tippte er ihn kurz an.

„Du bist tatsächlich echt", flüsterte Yugi vor sich hin und schlang dann die arme um seine dunkle Hälfte um ihn fest zu drücken. Dabei verbarg er seine Freudentränen geschickt, indem er sein Gesicht in dessen Schulter einkuschelte.

Yami selbst barg seinen Hikari intuitiv in einer ebenso festen Umarmung und schloss einfach nur erleichtert die Augen.

Doch kurz darauf machte sich in Yugi Verwirrung breit und er löste sich wieder von seinem Yami. Sein kritischer Blick wanderte zum Brett, wo die Figuren noch immer reglos umherlagen und die Augenbrauen wanderten noch weiter zusammen.

„Aber... Wie geht das vor sich? Die Regeln besagen doch, dass ALLES wieder wie vor Spielbeginn sein würde..." Konsterniert drehte er sich wieder zu seinem Yami, der nur mit den Schultern zuckte.

„Wer weiß... Womöglich waren wir die ersten ‚Geister', die mit Jumanji gespielt haben...", grübelte Yami lauf vor sich hin, während Bakura ihn kritisch beäugte und sich langsam Wut auf seiner Mimik zeigte.

Ryou verdrehte innerlich die Augen und sah Yugi vielsagend an. Dieser blinzelte perplex zurück und ließ sich etwas weiter von seinem Yami wegziehen.

„3...2...1..." Ryou trat noch einen Schritt beiseite, um seinen Gegenpart nicht in den Weg zu geraten, als dieser auch schon schnurstracks auf Yami zusteuerte und diesen beim Kragen packte.

„PHARAO! Das ist alles DEINE Schuld!"

Verdattert blinzelte der angeklagte den tobenden Grabräuber an, bis er haltlos zu lachen anfing. Yugi sah seine dunkle Hälfte völlig entsetzt an. Seit er Yami kannte, hatte er ihn nie SO ausgelassen Lachen sehen. Er wurde etwas rot um die Nase, als er feststellte, dass es Yami ausgenommen gut stand.

„Was soll daran witzig sein?" fragte der Grabräuber entrüstet, als die beiden Hikaris schließlich in das erleichterte Lachen mit einstimmten.

Während die Gruppe sich ausgelassen freute und all der Stress und die Sorgen der letzten Stunden von ihnen abfielen, bemerkten sie weder die dunkle Gestalt, die am Fenster schwebte, noch daß sich das Spiel aufzulösen begann, nur um kurz darauf in den Händen der Gestalt wieder aufzutauchen.

„Ihr mögt die Prüfung bestanden haben... Doch das wahre Spiel beginnt jetzt erst überhaupt", höhnte die düstre Stimme, bevor die Gestalt ins Nichts verschwand aus der sie gekommen war und die unbedarften Jugendlichen ihrer kurzweiligen Freude überließ.


(1)Auf diese 3000 Jahre aus dem Manga bestehe ich, da kann die Serie tausendmal 5000 Jahre draus machen. Zu der Zeit waren die Ägypter grade dabei, die Hieroglyphen zu erfinden... Von einer Stadt wie Theben haben die da sicherlich noch nicht mal von geträumt. In diesem Punkt bin ich ebenso hartnäckig wie stur ;-)

(2) Wer es sich nicht vorstellen kann, besorge sich Band 7 vom Manga -


So... das ist nun das Ende dieser FF. Tut mir Leid, wenn ich die ShonenAi-Erwartungen nicht erfüllt haben sollte, aber beim schreiben starrt mich die GANZE Zeit der Yu-Gi-Oh Adventskalender vom letzten Jahr an und ich kam mir total blöd dabei vor so etwas zu schreiben / Für meine Fortsetzung hab ich mir mehr vorgenommen – und vor allem eindeutigeres... Aber die Story will erst mal durchstrukturiert sein, die Idee und grobe Handlung besteht bereits ;) /Neugier anfach/

Ich hoffe, dennoch, euch hat meine erste YGO-FF gefallen /verneigt sich tief vor ihren Lesern/ Hinterlasst mir doch eine abschließende kritische Meinung, ich würde mich sehr freuen -