Kapitel 7
in welchem Hermines Logik erstaunlich ist

Blaise Zabini hatte miese Laune. Er hatte so schlechte Laune, daß er überrascht war, sich nicht von einer schwarzen Aura umhüllt zu sehen, als er in seinem Schlafsaal in den Spiegel sah. Er zupfte an seiner Schulrobe und stieg die Treppe zum Gemeinschaftsraum hinunter, in der Hoffnung mit einer Runde Explosivo einige seiner negativen Gefühle zu vertreiben. Leicht entflammbare Spiele hatten etwas an sich, das er im Moment sehr verlockend fand.

Unglücklicherweise befand sich der einzige freie Platz in der Nähe von Malfoy, der gerade mit Crabbe und Goyle sprach. Eigentlich sprach er eher zu ihnen, da sie nie in die Unterhaltung eingriffen, außer um dem blonden Vertrauensschüler zuzustimmen. Blaise setzte sich träge und griff nach einer ausgelesenen Ausgabe des "Tagespropheten", die jemand auf dem Tisch liegengelassen hatte. Vielleicht würden ihn all die Geschichten über Tod und Mord von einer gewissen Hermine Jane Granger ablenken.

Innerlich verfluchte er den Silvesterabend. Wäre diese Nacht nicht gewesen und Finch-Fletchleys idiotischer Vorschlag, nach Hogsmeade zu gehen, dann hätte Hermine nicht Finch-Fletchley geküßt, und Blaise hätte nicht bemerkt, daß er sie mochte.

Unwissenheit macht selig, so hieß es. Blaise stimmte dieser Behauptung nicht vollständig zu, aber manchmal traf sie zu. So wie jetzt. Dieser eine Kuß zwischen Hermine und diesem Hufflepuff hatte Blaise völlig aus der Bahn geworfen, und selbst als er von den Fortschritten im Mordfall Krum las, konnte er nicht anders, als an die Gryffindor zu denken.

"Also, Zabini", wandte Draco sich an ihn. "Ich hab gehört, du und Granger seid euch ziemlich nahe gekommen. Hast du sie schon rumgekriegt?" Blaise konnte das selbstgefällige Grinsen praktisch hören.

"Küßt du deine Mutter mit diesem Mund?" fragte Blaise abfällig, ohne von der Zeitung aufzublicken.

"Wag' es nicht, über meine Mutter zu reden, Zabini", drohte Malfoy und begann, sich von seinem Platz zu erheben. Crabbe knackte bedrohlich mit den Fingerknöcheln.

"Ich habe mich lediglich erkundigt, ob du so geschmacklos sein mußt", informierte Blaise kurzangebunden und blätterte um. Viktor Krums Gesicht blinzelte zu ihm herauf, und er schlug rasch die nächste Seite auf.

"Soll ich das also als ein "ja" verstehen?" fragte Malfoy, was ihm leises Gelächter von Crabbe und Goyle einbrachte.

"Das solltest du als ein "Kümmer-dich-um-deine-Angelegenheiten" verstehen." Blaise funkelte Malfoy wütend an. "Meine Beziehung zu Granger, was immer es für eine sein mag, geht dich nicht das geringste an." Er fand es seltsam, wieder ihren Nachnamen zu benutzen.

Malfoy lächelte ihn spöttisch an. "Sie läßt dich also nicht ran, Zabini?"

Blaise faltete die Zeitung zusammen und legte sie neben sich. Er lehnte sich nach vorn und verschränkte die Hände. "Ich unterhalte mich mit Pansy, Malfoy. Laß uns einfach sagen, daß ich genug Munition habe, um mich zu revanchieren, wenn du dich über mein Sexleben auslassen willst."

Der Malfoy-Erbe wurde blaß und preßte die Lippen fest zusammen. Offensichtlich war das etwas, was er nicht wollte. "Wie du willst, Zabini. Aber merk dir meine Worte, diese Schlammblut-Schlampe wird dein Niedergang sein."

"Nein, Malfoy", korrigierte Blaise ruhig mit einem stählernen Blitzen in den Augen. "Sie wird deiner sein."

ooOOoo

Alte Runen war wahrscheinlich Blaises Lieblingsfach. Erst als er zur ersten Stunde im neuen Jahr den Klassenraum erreichte fiel ihm jedoch ein, daß er neben Hermine würde sitzen müssen.

Er war ihr aus dem Weg gegangen, und er war ziemlich sicher, daß sie ihn ebenfalls mied. Er hatte ihre verabredete Italienischstunde absichtlich ausfallen lassen, und er hatte keine Möglichkeit herauszufinden, ob sie überhaupt erschienen war.

Potter und Weasley hatten ihn tatsächlich dazu gebracht zuzugeben, daß er Hermine auf eine nicht streng platonische Weise mochte. So grauenhaft es gewesen war, ihnen das zu erzählen, die Tatsache, daß jemand außer ihm davon wußte war befreiend. Ihm war eine Last von den Schultern genommen.

Obwohl ihm diese Last genommen war - wenn auch nur teilweise - freute Blaise sich nicht besonders darauf, eine Stunde lang so dicht neben Hermine zu sitzen. Er hatte sie beinah geküßt, als er sie im Krankenflügel besucht hatte. Er hatte gespürt, wie sein Herz raste, als sie sich nähergekommen waren. Dann war die herbe Enttäuschung wie ein Bleigewicht auf ihn gefallen, als sie ihn gebeten hatte zu gehen.

'Sie bläst meinetwegen Trübsal, von wegen', dachte Blaise bitter, als er den Klassenraum betrat. Er war überrascht, daß sie nicht schon da war.

"Zabini", sagte eine tiefe Stimme. Als er sich umsah, sah er Theodore Nott, der ihn durchdringend anstarrte, ohne mit seinen blassen Augen zu blinzeln.

"Was?" raunzte er ungeduldig.

"Willst du heute neben mir sitzen?" Blaise gestattete sich ein kleines Lächeln, etwas peinlich berührt, daß er Nott so angefahren hatte.

"Danke", murmelte er, während er sich neben den anderen Slytherin setzte. Theodore starrte ihn immer noch an, und Blaise fühlte sich verpflichtet zu fragen: "Warum hast du mich gefragt, ob ich hier sitzen will?"

"Sieh mal, Zabini, ich weiß, ich rede nicht viel mit dir, weil, na ja, weil ich mit niemandem viel rede." Er sah etwas betreten drein. "Aber sogar ich kann erkennen, daß du heute lieber nicht neben der Gryffindor sitzen willst."

"Sie heißt Hermine", sagte Blaise automatisch. Es ärgerte ihn ein wenig, daß Theodore sie "die Gryffindor" nannte.

"Na gut", sagte Theodore und holte eine leuchtend schwarz-orangefarbene Feder aus seiner Tasche. Blaise starrte die Feder an.

"Ich hätte nie gedacht, daß du ein heimlicher Cannons-Fan bist", bemerkte Blaise, als er die beiden schwarzen Cs direkt über der Spitze sah. Theodore grinste.

"Schon seit ich klein war. Ihr Trainingsfeld ist gleich neben unserem Haus."

"Du und Weasley wärt ein schönes Paar", sagte Blaise, als ihm einfiel, wie Hermine ihm von der Leidenschaft des Rotschopfs für die Verlierermannschaft erzählt hatte.

Theodore schüttelte den Kopf. "Wir würden nie eine anständige Unterhaltung zustande bringen, solange er an den Lippen mit Parkinson zusammenklebt."

Blaises Augen weiteten sich. "Du weißt davon?" zischte er mit leiser Stimme, als die zwei Mädchen aus Ravenclaw den Raum betraten.

"Ich bin still und zurückgezogen, Zabini", antwortete Theodore ohne eine Spur Bitterkeit. "Das heißt nicht, daß ich blind bin."

Als Hermine eintraf, schien sie nicht im mindesten überrascht zu sein, daß Blaise neben Theodore saß, anstatt auf seinem gewöhnlichen Platz. Falls sie es war, verbarg sie es gut und ging zu ihrem üblichen Tisch.

Abgesehen von ein paar verstohlenen Blicken, die er Hermine hin und wieder zuwarf, überlebte Blaise Alte Runen. Am Ende der Stunde war es ihm ein Rätsel, warum er in den vergangenen Schuljahren nicht öfter mit Theodore gesprochen hatte. Er hatte das Gefühl, daß er eine verwandte Seele in Slytherin gefunden hatte. Theodore teilte sogar seine verächtliche Meinung von Malfoy, wenn er auch nicht wie Blaise nach Kaffee süchtig war; sein Laster waren Zuckerfedern.

Er konnte sich jedoch nicht vorstellen, daß er und Theodore Freunde werden könnten. Theodore war aus freier Wahl Einzelgänger, nicht gezwungenermaßen, und schien die Leute, die er kannte, eher als "Bekanntschaften" denn als "Freunde" zu sehen. Auch hatte er so gut wie gar kein Interesse an Blaises Privatleben, was für einen Freund unabdinglich war.

Als er den Klassenraum am Ende der Stunde verließ, hörte Blaise, wie jemand seinen Namen rief. "Blaise!" Dann ein zaghaftes: "Zabini?"

Es war Hermine. Er drehte sich zu ihr um und fragte: "Ja?"

Entschuldigend erwiderte sie: "Du hast deine Feder fallenlassen." Hermine schien überrascht über seinen scharfen Ton. Sie reichte ihm die Feder. Er hatte ein Gefühl von Déjà-vu, als er sie wortlos nahm und in seine Tasche steckte. "Wiedersehen", sagte sie und wandte sich ab.

"Willst du immer noch, daß ich dir Italienisch beibringe?" fragte Blaise auf Italienisch. Sie sah verwirrt aus, während sie zu übersetzen versuchte, was er gerade gesagt hatte. Er wiederholte die Frage, etwas langsamer diesmal, obwohl er sich wunderte, weshalb er es anbot.

Langsam, immer noch unsicher bei der Verwendung der Sprache, antwortete Hermine: "Ich werde darüber nachdenken." Blaise nickte und sah ihr nach, während sie den Flur hinunterging. Er lehnte sich an die Wand und überlegte, ob er seine Kopf gegen die harte Oberfläche rammen sollte.

Wenn er ihr einfach sagte, wie er empfand, wäre vielleicht alles besser. Oder schlimmer. Im bestmöglichen Fall würde sie ihre unsterbliche Liebe zu ihm erklären, und sie würden für immer und ewig glücklich leben. Im schlimmstmöglichen Fall würde sie abgestoßen sein und ihm auf ewig aus dem Weg gehen, damit wäre er befreit und könnte sein Leben weiterleben.

Bei genauerem Nachdenken, sollte es zum schlimmstmöglichen Fall kommen, würde Blaise vermutlich in Betracht ziehen, sich vom Astronomieturm zu stürzen.

Als ihm diese Idee kam, war Blaise bestürzt über seine eigenen Gedanken. Empfand er wirklich so viel für die brünette Hexe?

Er war nicht mehr sicher.

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Hermine konnte sich nicht konzentrieren. Deutsche Verben waren einfach nicht interessant, und ihre Gedanken schweiften andauernd zu Blaise ab. Hermine war verärgert über sich selbst, weil sie unaufmerksam war, gab aber schließlich auf und sagte sich, daß sie ja jederzeit Seamus' Notizen ausleihen und abschreiben konnte.

Sie nahm en neues Stück Pergament und begann, einen Brief an Blaise zu schreiben, während sie mit einem Ohr der Lehrerin zuhörte.

Blaise,

ich würde mich normalerweise als durchaus eloquent bezeichnen, aber wenn ich versuche, diesen Brief zu schreiben, stelle ich fest, daß ich meine Gedanken nicht in Worte fassen kann. Bitte entschuldige jegliches Abschweifen.

Ich habe über dein Angebot wegen des Italienischunterrichts nachgedacht, und so sehr er mir auch bei meinem Sprachenkurs hilft, ich halte das nicht für eine gute Idee, ebensowenig wie den Unterricht, den ich dir gegeben habe.

Der Grund, weshalb ich nicht weitermachen möchte, ist Viktor. Das mag sich merkwürdig anhören, da er tot ist, aber die Tatsache, daß er ermordet wurde, ist genau der Grund, weshalb wir nicht weitermachen können. Ich war mal halb in ihn verliebt, so seltsam das klingen mag, und jetzt da er von Todessern ermordet wurde frage ich mich, ob es meine Schuld ist. Es ist bekannt, daß ich mit Harry befreundet bin, und es würde mich nicht wundern, wenn Voldemort (Ja, ich nenne seinen Namen.) versucht hat, über mich an Harry heranzukommen.

Inzwischen wirst du dich wahrscheinlich wundern, was das alles mit dir zu tun hat. So sehr ich es auch verleugne, ich habe Gefühle für dich entwickelt, die etwas unangebracht sind. Ich habe Angst, daß du verletzt wirst. Ich denke, es wäre das beste, wenn wir unsere Freundschaft genauso belassen wie sie ist: freundschaftlich. Vielleicht ist es am besten, wenn wir uns voneinander fernhalten, jedenfalls für eine Weile.

Da ich diesen Brief Daphne gegeben habe, damit sie ihn dir gibt, und ich ihn nicht versiegelt habe, habe ich keine Zweifel, daß sie ihn gelesen haben wird. Sie hat ein Herz aus Gold, aber sie ist eine unverbesserliche Klatschtante.

Hermine

Als Hermine den Brief noch einmal durchlas, fragte sie sich, ob es das Richtige war, diesen Brief zu schicken. Sie nahm ihren Gryffindor-Mut zusammen und faltete den Brief in der Mitte zusammen und dann noch einmal. Sorgfältig und sauber schrieb sie "Blaise" auf das Pergament. Sie schob den Brief an den Rand ihres Tisches und zwang sich, sich auf den Unterricht zu konzentrieren.

Der Brief schien jedoch etwas dagegen zu haben. Er verhöhnte sie, einfach nur ach so unschuldig daliegend. Ein gefaltetes Stück Pergament, das ihr Geheimnis enthielt. Es wartete nur darauf, gelesen zu werden, es wartete nur, daß jemand es fand und entdeckte, was sie für den dunkelhaarigen Slytherin empfand.

Sie hob den Brief vorsichtig auf, als hätte sie Angst, er könnte explodieren, und unterstrich behutsam Blaises Namen. Dieser eine Strich schien endgültig zu machen, was sie geschrieben hatte, und sie konnte den Brief für den Rest der Stunde ignorieren.

Als die Glocke läutete, schob sie Daphne den Zettel mit der Anweisung zu, ihn Blaise zu geben. Die blonde Hexe lächelte wissend und flitzte hinunter in die Kerker. Hermine seufzte, hievte ihre Tasche über ihre Schulter und machte sich auf den Weg zum Gryffindor-Gemeinschaftsraum.

Als sie in dem Raum voller Betriebsamkeit ankam, fand sie Harry, Ron und Ginny in eine lautstarke Runde Explosivo vertieft. Hermine setzte sich. Sie war froh, ihre Schuhe abstreifen zu können. Als die Karten, die Ron hielte, explodierten und dabei eine feine Aschenschicht auf seinem Gesicht hinterließen, fragte Harry: "Willst du mitspielen, Hermine?"

Hermine dachte an die Hausaufgaben, die vor ihr lagen, und überraschte die anderen, indem sie sagte: "Sicher." Ginny teilte die Karten neu aus, während Ron versuchte, sich mit dem Ärmel den Ruß aus dem Gesicht zu wischen.

"Wo ist Dean?" fragte Hermine, überrascht, Ginnys Freund nicht in unmittelbarer Nähe zu sehen.

"Nachsitzen", erwiderte die jüngste Weasley verdrießlich. "Schon Zabini geknutscht?" fragte sie in demselben Tonfall.

Hermine ließ fast ihre Karten fallen. "Ginny!" rief sie. Dann sah sie Harry und Ron an, die sie beide angrinsten. "Ihr habt es Ginny erzählt!"

"Sie kann sehr überzeugend sein!" protestierte Ron.

Harry nickte zustimmend. "Sie hat mich mit einem Flederwicht-Fluch belegt - nicht die angenehmste Erfahrung, ich bin sicher, du stimmst mir da zu."

Hermine stöhnte, als sie eine Karte auf die warf, die Harry auf den Tisch gelegt hatte. Die Herzkönigin. "Nein, hab ich nicht", teilte sie Ginny knapp mit. "Und wenn du es unbedingt wissen mußt, das werde ich auch nicht."

"Wieso nicht?" borte Ron nach und fügte dem Stapel eine Karte hinzu.

"Weil das keine gute Idee wäre", war Hermines Erwiderung, als Ginny die Pik-Zwei hinlegte.

"Er sieht schon irgendwie gut aus", sagte Ginny nach einer Weile nachdenklich. "Auf eine Groß-düster-und-Slytherin-Weise."

"Peng!" Harry hob den Kartenstapel auf. Er sah Ginny an. "Wir alle wissen, daß Hermine nicht nach dem Aussehen geht - immerhin war sie mit Krum beim Weihnachtsball." Er wurde bleich, als ihm klar wurde, was er gerade gesagt hatte. "Tut mir leid", entschuldigte er sich. "Ich hatte vergessen, daß er... daß Krum..."

"Schon gut, Harry", sagte Hermine. "Manchmal vergeß' ich es auch. Es scheint manchmal nicht real zu sein." Sie seufzte. "Machmal frag ich mich, ob das alles hier nur ein Traum ist und ich als einfacher Muggel aufwachen werde."

"Wenn das ein Traum is, dann ist der aber sehr lebhaft", sagte Ron und legte eine Karte ab.

"Ich würde sagen, es ist manchmal eher wie ein Albtraum", sagte Harry ernst. "Wenn es ein Traum ist, dann bin ich nicht sicher, ob ich aufwachen will."

ooOOoo

Blaise legte seine Roben immer am Sonntagmorgen zum Waschen heraus. Es war ein Ritual, das er jedes Wochenende durchlief. Er sortierte die aus, die gereinigt werden mußten und legte sie zum Rest seiner schmutzigen Wäsche. Dann überprüfte er die Taschen, um sicherzugehen, daß nichts mehr darin war. Er hatte in der ersten Klasse auf diese Weise eine Unmenge Knuts verloren, bis er angefangen hatte, methodisch vorzugehen.

Soweit Blaise sich erinnern konnte, war das einzige Mal, daß er diese Routine durchbrochen hatte, im dritten Schuljahr gewesen, als er sich bei einem Ravenclaw aus seiner Kräuterkunde-Klasse mit den Windpocken angesteckt hatte und drei Tage im Krankenflügel zugebracht hatte, bis Madam Pomfrey befunden hatte, daß er nicht mehr ansteckend war. Danach war seine Wäsche-Routine für mehrere Wochen durcheinander gewesen, sehr zu Blaises Verärgerung.

Wie Blaise es sah, war nichts Falsches daran, auf seine Erscheinung stolz zu sein, insbesondere auf die Sauberkeit der Kleidung. Saubere Kleider waren für ihn ebenso wichtig wie seine persönliche Hygiene, man konnte das eine nicht ohne das andere haben.

Außerdem machte ordentlich gewaschene Kleidung, die gebügelt war, einen wesentlich besseren Eindruck als zerknitterte, die Reste des Mittagessens aufwies. Wegen dieser Einstellung stimmte Blaise Slytherin-Regel Nummer siebzig überhaupt nicht zu: Frömmigkeit kommt vor Sauberkeit.

Blaise zog ein gefaltetes Stück Pergament aus der Tasche einer seiner Schulroben und warf es achtlos aufs Bett. Als es landete, entdeckte er darauf seinen Namen, in ordentlicher Schrift und unterstrichen. Er runzelte die Stirn und hob es auf, während er sich wunderte, was es war. Er hatte nur eine vage Erinnerung daran, wie Daphne es ihm mit einem wissenden Lächeln überreichte. Als er zurückdachte, fiel ihm ein, daß er das Pergamentblatt in die Tasche gesteckt hatte, um es später zu lesen. Offensichtlich hatte er es vergessen.

Er faltete es auseinander und überflog es schnell. Blaise ließ sich schwer auf sein Bett sinken. Mit weit aufgerissenen Augen las er den Brief noch einmal, um sicherzustellen, daß seine Augen ihn nicht täuschten.

Ausnahmsweise vergaß Blaise seine Wäsche und rannte in den Gemeinschaftsraum hinunter, wo Pansy und Daphne schläfrig über die Horoskope im "Sonntagspropheten" kicherten. "Sogar ich weiß, daß das nicht passieren wird", sagte Daphne gerade.

"Wann hat Hermine dir das gegeben?" fragte Blaise und schwenkte den Brief drohend hin und her. Daphne blinzelte.

"Wie bitte?" fragte sie verwirrt.

"Der Brief von Hermine", antwortete Blaise durch zusammengebissene Zähne. "Wann hat sie ihn dir gegeben?" fragte er langsam, als würde er mit einem kleinen Kind reden.

"Neulich nach dem Sprachenkurs." Sie krauste die Nase. "Wieso? Hat du ihn noch nicht gelesen?"

"Hast du ihn gelesen?" wollte er ungeduldig wissen. Er war nicht in der Stimmung für Daphnes Spielchen.

Daphne besaß den Anstand, überrascht darüber zu wirken, daß er sie beschuldigte. "Ähm, nein?" sagte sie zögernd.

"Daphne", warnte er. "Hast du ihn gelesen oder nicht?"

"Ja!" rief sie aus und warf die Hände in die Luft. "Ich habe ihn gelesen, wenn du es unbedingt wissen mußt, aber ich hatte ja nicht vor, dir das zu sagen, nicht wahr?"

Pansy sah Blaise neugierig an. "Was steht drin?" Blaise reichte ihr wortlos den Brief und ließ sich in einen Sessel fallen. Die Slytherin-Vertrauensschülerin las ihn still und sah Blaise forschend an, als sie fertig war.

"Und ich dachte, sie wäre intelligent - ihre Logik verblüfft mich." Pansy las den Brief ein zweites Mal, bevor sie Blaise aufmerksam ansah. Schließlich sagte sie: "Nur damit ich das richtig verstehe, Hermine Granger hat, wie sie es nennt, "unangebrachte Gefühle" für dich?" Sie gab ihm das Blatt Pergament zurück.

Blaise nickte verdrießlich. "Ja."

"Und du hast, wenn ich mich nicht sehr irre, "unangebrachte Gefühle" für das buschhaarige Wunder."

"Ich schätze schon", murmelte Blaise, als er spürte, wie er rot wurde.

Ein angewiderter Ausdruck huschte über ihr Gesicht. "Warum zum Teufel sitzt du dann hier rum? Geh und such sie! Knutsch sie wieder zu Verstand, oder so was!" Daphne nickte eifrig ihre Zustimmung.

Für einen Moment saß Blaise nur da, fassungslos darüber, was Pansy ihm gerade zu tun aufgetragen hatte.

"Ich... ich kann nicht", sagte er schließlich.

"Warum nicht?" fragte Daphne.

"Weil... eben darum."

Pansy verzog das Gesicht. Dann sagte sie: "Du bist erbärmlich, weißt du das?" Blaise erwiderte nichts darauf und ging wieder zurück zu seinem Schlafsaal. Es war einfach für die beiden, ihm zu sagen, er solle gehen und etwas wegen des Briefs unternehmen, aber tatsächlich etwas zu tun war etwas völlig anderes.

Blaise fegte seine Kleider von seinem Bett, legte sich hin und vergrub das Gesicht im Kissen. 'Verfluchte alte Runen, verfluchte Hermine Granger', dachte er bitter. 'Ich verfluche mich selbst dafür, daß ich sie tatsächlich mag. Gryffindors und Slytherins sollten sich nicht mögen.' Er rollte auf den Rücken, so daß er auf den Baldachin seines Himmelbettes starrte.

'Wir sind uns zu ähnlich', vermutete Blaise. 'Gryffindors und Slytherins sind sich zu ähnlich, deswegen streiten wir so viel.' Blaise schloß die Augen, während er darüber nachgrübelte, und atmete tief ein, um sich zu beruhigen.

Als er die Augen wieder öffnete und auf seine Armbanduhr sah, war es ein Uhr. Zeit fürs Mittagessen. Er hatte ungefähr zwei Stunden geschlafen. Er richtete sich auf und streckte die Arme über dem Kopf.

Er entschloß sich, zum Mittagessen in die Große Halle zu gehen. Dort würde er hoffentlich Hermine begegnen. Er bemerkte, daß sein Herz bei dem Gedanken an die Gryffindor ein kleines bißchen schneller schlug, und er wünschte, das würde es nicht. Er konnte es praktisch schlagen hören, und er war sicher, daß es jemandem auffallen würde.

Als er die Große Halle erreichte - etwas außer Atem, denn er war ein wenig schneller gegangen als normalerweise - erkannte er Ron Weasleys Stimme und ging hinter einer Biegung im Korridor in Deckung.

"Was hast du denn heute noch so vor?" hörte er Ron fragen, als er dem Eingang der Großen Halle näherkam. Er war offenbar nicht allein, die Fußtritte, die er hören konnte, veranlaßten Blaise zu der Annahme, daß mindestens noch eine andere Person bei ihm war. Das war vermutlich Potter, nahm Blaise an, da Ron und Pansy nie zusammen in der Öffentlichkeit gesehen wurden. Abgesehen davon waren Pansy und Daphne noch im Gemeinschaftsraum gewesen, als er gegangen war.

"Weiß nicht." Blaise war etwas überrascht, Hermine auf diese Frage antworten zu hören.

"Warum kommst du nicht runter zum Quidditchfeld?" schlug Harry Potter vor, als die drei in Sichtweite kamen. Harry schob seine Brille hoch. "Wir haben überlegt, ob wir versuchen sollen, ein spontanes Quidditchmatch auf die Beine zu stellen."

Hermine verdrehte die Augen, als sie sich ihren Topf über die Schulter warf. "Ihr wißt doch, daß ich nutzlos bin, was Quidditch betrifft."

"Du könntest die Punkte zählen?" war Rons Vorschlag, als er freundschaftlich einen Arm um sie legte. Blaise verspürte ein eifersüchtiges Kribbeln bei dem Anblick, wie jemand anderes Hermine berührte, obgleich er wußte, daß Ron Pansy ergeben war. "Komm schon, Hermine", bettelte er mit großen Augen. "Wir verbringen nicht halb so viel Zeit miteinander wie früher."

"Wir würden nicht direkt Zeit miteinander verbringen, wenn ihr beide auf euren Besen herumfliegen würdet, oder?" Hermine war nicht im geringsten beeindruckt von Rons Vorschlag, wie sie alle drei "Zeit miteinander verbringen" konnten.

"Aber du könntest so was wie der Schiedsrichter sein", fuhr Ron mit einem Grinsen fort. "Du könntest uns zu Schnecke machen, wenn wir die Regeln brechen - darin bist du gut", neckte Ron.

"Das liegt daran, daß ihr gut darin seid, Regeln zu brechen", entgegnete Hermine grinsend.

"Was sagst du, Hermine?" fragte Harry flehend. "Kommst du?" Er faltete die Hände, als würde er beten.

Hermine gab nach und nickte. "Gut. Ich muß nur hoch in den Gemeinschaftsraum und meinen Umhang holen, okay? Es ist etwas kälter, als ich gedacht hatte."

"Hermine!" hörte Blaise sich sagen, trat vor und hielt ihr das Blatt Pergament hin. "Warte!"

Hermine versuchte ihn seufzend zu ignorieren, obwohl Rons Arm von ihrer Schulter glitt und sie fühlen konnte, wie Harry und Ron sie anstarrten. Schließlich sagte sie: "Geh." Sie benutzte Italienisch zur besonderen Betonung.

"Nein." Blaises Antwort war kurz und scharf. Er versuchte, wieder zu Atem zu kommen. "Ich hab gerade deinen Brief gelesen." Er hielt ihr das Pergament hin, und sie nahm es mit zitternden Fingern.

Hermine leckte sich über die Lippen und sagte: "Ich will nicht mit dir sprechen."

"Ich will aber mit dir sprechen." Er machte einen Schritt auf sie zu, was Hermine zwang, zu ihm aufzublicken, damit sie ihn herausfordernd ansehen konnte.

Atemlos und rot im Gesicht kamen Pansy Parkinson und Daphne Greengrass bei der Großen Halle an.

"Ich bin ein Idiot", sagte Blaise ernsthaft. Hermine sah ihn an wie um zu sagen. "Mußt du mir das wirklich extra sagen?" "Aber ich bin ein Idiot, der dich wesentlich mehr mag, als er sollte." Er kam noch näher, und Hermine stockte der Atem.

"Mir ist schwindlig", flüsterte sie. Blaise erkannte in einem entfernten Teil seines Bewußtseins, daß Daphne versuchte, ihre Unterhaltung flüsternd für die anderen aus dem Italienischen zu übersetzen.

"Mir auch." Blaise hielt inne und biß sich auf die Lippe. "Ich glaube, ich werde dich küssen."

"Tu es, bevor ich meine Meinung ändere."

"Blaise." Die Stimme war hartnäckig, und es war ganz sicher nicht Hermines. Blaise stöhnte und öffnete die Augen. "Wach auf", sagte ihm die Stimme.

"Ich bin wach", antwortete Blaise taumelig, als er erkannte, daß es Theodore war, der mit ihm sprach.

Augenblick – Theodore? War er nicht vor einer Minute noch draußen vor der Großen Halle gewesen? Wie war er zurück in seinen Schlafsaal gekommen?

"Du hast im Schlaf geredet", sagte Theodore. "Auf Italienisch", fügte er hinzu. "Du hast ausgesehen, als hättest du einen Albtraum."

Er hatte geträumt. Ale er auf die Uhr sah, war es erst Viertel vor zwölf. Er war nicht zur Großen Halle gegangen. Er hatte Hermine nicht geküßt. Alles war immer noch genauso wie vorher, und jetzt kam er sich vor wie ein Idiot, weil er im Schlaf geredet hatte.

"Nein", sagte er langsam. "Es war kein Albtraum, es war ..." Er ließ den Satz in der Luft hängen und blickte zu Theodore hoch, der über ihm stand. "Hast du mal einen Traum gehabt, der wirklich surreal war – wo nichts wie in der Wirklichkeit war?" fragte er.

Theodore schien darüber nachzudenken. "Ich hab mal geträumt, daß Harry Potter in ein Nashorn verwandelt wurde", bot er an.

Das war mit Sicherheit bizarr, aber Blaise sagte nichts dazu. Statt dessen sagte er: "Na ja, ich glaube, ich hatte gerade einen Traum, der die Wirklichkeit surreal erscheinen läßt."

"Dein Traum war perfekt, und dein wahres Leben ist verkorkst?" fragte Theodore.

"So ungefähr."

ooOOoo

Schließlich kam der Tag, an dem er seine Hausaufgabe für Alte Runen abgeben mußte. Blaise blätterte den Ordner mit den Notizen durch, die er seit Beginn des Schuljahres angehäuft hatte und zupfte das Pergamentblatt mit den Themen heraus, das Professor Mayfair ihm gegeben hatte. Sogar jetzt erschienen ihm einige davon noch lächerlich. Alte Runen auf UTZ-Niveau - Erstes Jahr war die Überschrift.

Eine der Fragen sprang ihm ins Auge: Das Studium der Runen wird als Teil einer abgerundeten Ausbildung angesehen. Inwieweit stimmen Sie zu?

Vor seinem inneren Auge sah er Hermine, und er stellte sich vor, wie sie dasselbe tat wie er – ihre Hausaufgabe zum x-ten Mal überprüfen. Er stellte sich vor, wie sich ihr Haar um ihre Schultern wellte. Wie sie ihre Nase mit ihrer Feder kratzte, wenn sie versuchte, eine besonders schwierige Rune zu entziffern.

'Wie wichtig sind alte Runen?' überlegte er.

'Lebenswichtig.'

Ende Teil 1


Anmerkungen:

Kein Grund zur Verzweiflung, ich arbeite an der Fortsetzung. ;) Der Titel lautet "Alte Runen in der modernen Welt". Ich weiß noch nicht, wie schnell ich das schaffe, aber in den nächsten Tagen müßte ich das erste Kapitel fertig haben. :)

Euch ist vielleicht das Kartenspiel aufgefallen, das in diesem Kapitel dauernd vorkommt. Es ist dasselbe, das in der offiziellen Übersetzung "Snape explodiert" heißt. Da es das aber nun mal nicht heißt (Original: Exploding Snap), konnte ich mich nicht dazu überwinden, es so zu nennen. Falls jemand eine gute Übersetzungsidee dazu hat, immer her damit. Das hier war nur eine Notlösung.

Ein herzliches Dankeschön allen fleißigen Kommentarschreibern des ersten Teils. Ich hoffe, wir sehen uns wieder. :)


Silke Riddle: Viktors Tod führt zu Hermines "verblüffender Logik", wie man sieht. ;) Ob es später noch irgendwie bedeutsam ist, weiß ich im Moment auch nicht, aber die Hauptaufgabe des bedauernswerten Viktors war wohl, Hermine mit seinem Tod zu belasten. Der Ärmste...
Hermine ist wahrscheinlich sowohl wegen Viktors Tod deprimiert als auch wegen der Tatsache, daß sie sich von Blaise fernhalten muß, um ihn nicht in Gefahr zu bringen. Zumindest glaubt sie das ja. Außerdem darf sie sich nicht mehr verwandeln.
Was das Schwimmen in Eiswasser angeht muß ich sagen: Da kann ich nur zustimmen. ;)

Maia May: Stimmt, die Rollen sind hier mal etwas vertauscht. Bietet sich bei diesen Paaren wohl an. :)

Loki Slytherin: Ich will mal nicht hoffen, daß es dazu kommt... Obwohl... immerhin wär ich ja in guter Gesellschaft. ;)

LadyEvelyn: Gut zu wissen, daß Du stets um die Gesundheit unserer beiden Helden besorgt bist. Ich hoffe, Du bist zufrieden, niemand ist verhungert, niemand wurde ertränkt. Nur immer noch alle müde... Aber um es gleich zu sagen (in bezug auf Deinen Kommentar zu Kapitel 5): Wir werfen mal alle gemeinsam einen Blick auf den oberen Bildrand: Fiction Rated: T. In nächster Zeit also wohl erst mal nicht... ;) Hoffen wir trotzdem auf ein Happyend. :)

EllieSophie: Immer mit der Ruhe, sie schaffen es noch... irgendwann. :)

teddy172: Das beruhigt mich. :)
Ich hab mich schon immer gefragt, wie dieses Butterbier eigentlich schmecken soll. Ich stell mir das irgendwie seltsam vor... :) Aber das mit dem Tränkemeister beunruhigt mich jetzt... vor allem dieses teuflische Grinsen... Hm, was soll ich davon halten? Ich geh besser schnell in Deckung, bis ich weiß, was Du planst... ;)
Und wieso hab ich das Gefühl, daß hier alle auf den schwimmenden Blaise fixiert sind?

silver moonstone: Wie ich sehe, hast Du bei der Sesamstraße aufgepaßt. ;) So viele Fragen auf einmal... Ok...(tief Luft hol):
Die Überschrift bezieht sich darauf, daß Hermine und Blaise beide deprimiert sind, nehm' ich an.
Draco weiß ich Moment noch gar nichts von Pansy und Ron, aber er wäre wohl in der Tat nicht sehr erfreut. ;)
Fürs erste darf Hermine sich nicht mehr verwandeln. Deswegen bläst sie natürlich Trübsal, aber auch wegen Viktors Tod und weil sie Blaise nicht mehr treffen zu können glaubt.
Was Harry betrifft, wir werden uns überraschen lassen müssen.
Blaise wird sich bald verwandeln. In was... tja. Ihr werdet ja sehen. ;)

Vielen Dank an: kurai91, blub, Rubinonyx und sweet-teeni!