Prolog

Der abgetrennte Zopf

„Jerusalem"

Es war bereits warm an diesen Tag bevor auch nur die Sonne im Osten aufging.

Allein die Andeutung ihrer Strahlen ließen die Luft in den Straßen flimmern.

Es war Hochsommer und es war normal, dass die Nacht kaum abkühlte und die Tage unerträglich heiß waren.

Ich erinnere mich, als sei der Gedanke daran nur wenige Minuten, statt Jahre, alt.

Es war einer dieser heißen Tage gewesen, als mein Vater mich beinahe tot prügelte und auf die Straße warf... mich von seiner Familie verbannte.

Mein Verlobter, ein entfernter Cousin aus Damaskus, hatte die Verlobung gelöst, dass versprochene Geld für mich war ausgeblieben und meine arme Familie beschloss, dass es nicht noch ein hungriges Maul stopfen konnte. Die Wahl fiel natürlich auf mich, das Mädchen, dass kein Mann ehelichen wollte.

Mein Vater sagte, es läge an meinem Blick, er würde allen Männern Angst machen und ich wäre hässlich und ungezogen.

Was waren das für Männer in einer Zeit, wo man sie nur ansehen musste, um ihnen derart Angst ein zu jagen?

Zu diesem Tag begann mein Elend in den Armenvierteln von Jerusalem.

Doch das war nichts im Vergleich, zu dem was mir noch bevorstand.

Die ersten Tage vergingen. Ich fand weder Nahrung, noch gelang es mir von den Edelherren ein wenig Geld zu erbetteln.

Doch das Schicksal nahm seinen Lauf und ich stieß mit der Stadtwache zusammen, der mir wütend ins Gesicht schlug. Der Schlag war so heftig, dass ich zu Boden fiel und die Waren einen Töpfers noch zertrümmerte.

„DIEB!"

Sie standen zu dritt um mich herum, stießen mich, schlugen mir in mein Gesicht und verpassten mir Tritte.

Die sadistische Freude stand ihnen in ihre Gesichter geschrieben.
„Du Hure, wie kannst du es wagen auch noch in meinem Beisein zu stehlen!"

Einer der Wachen spie mir ins Gesicht.

Ich sank zu Boden und schluchzte. Ich war mir sicher, dass Gott mir nun ein Ende bescherte. Unrühmlich, unausweichlich.

Das Geräusch eines gezogenen Schwertes ließ meine Befürchtungen schreckliche Sicherheit werden und meine letzte Hoffnung, wo auch immer sie in diesem Zeitpunkt war, verschwand.
Mein Leben, so kurz es auch gewesen sein mag, ging nun vorüber und... ich wartete darauf, geduldig und still, wie das trockene Land auf den Regen wartete.

Ich sah hinauf in das unendliche Blau das Himmels, wartete darauf, dass die stählerne Klinge meinen Körper töten würde... doch nichts dergleichen geschah.

Wie im Zeitraffer fiel eine Wache vor mir zu Boden. Aus seinem Hals sickerte Blut und plötzlich verdeckte eine weiße Robe meine Sicht.

Über der toten Wache kniete... ein Gelehrter?

Ein bewaffneter Gelehrter? Um mich herum wurde geschrien und ein Kampf entbrannte zwischen den scheinbaren Gelehrten und den übrigen Wachen. Einer nach dem anderen fiel tot zu Boden und die Welt wurde um mich herum still und ich fühlte wie Taubheit sich in meine Extremitäten niederschlug und mich an Ort und Stelle festbannte.

Die Angst hinderte mich daran mich selbst zu retten und zu flüchten.
Dies war vielleicht der letzte Moment gewesen, der mich vor alle dem, was nun vor mir liegen würde, bewahrt hätte. Doch das Schicksal schlug nun an dieser Stelle zu und mein Leben nahm eine Wendung, drastischer als sich jemand je vorstellen konnte.

Der letzte dieser Unholde sprang auf mich zu und umfasste meinen dicken Haarzopf.

Geistesgegenwärtig schrie ich auf, sprang auf die Füße und wollte weg rennen, doch mein Zopf hinderte mich daran.

Trotz des Schmerzes zerrte ich an den Haaren um mich zu befreien und dann hörte ich dieses Geräusch und der Widerstand löste sich. Ich knallte erneut zu Boden.

Das Geräusch hatte mich an eine Schere erinnert, die Haare zerschnitt.

Ich sah zu der Wache auf, die meine langen Zopf verdutzt in der Hand hielt. Er hatte mir den Zopf abgeschnitten... oder? Ich griff sofort an meinen Hinterkopf und fühlte nun die kurzen Haarsträhnen durch meine Finger gleiten. Dort hinten war nun nichts mehr und kühle Luft streifte nun die entblößte Haut meines Nackens.

Noch im selben Moment als ich mein Blick erneut auf die Wache richtete, fiel dieser tot zu Boden. Niedergestochen von einem wohl gezielten Wurfmesser.

Ich achtete nicht auf das Geschrei um mich herum. Die Wachen waren tot, die Gefahr gebannt.
Zumindest dachte ich das.

Doch ich wurde eines Besseren belehrt.

Man packte mich am Arm und zog mich mit einem heftigen und groben Ruck auf die Füße.

Der scheinbare Gelehrte zerrte mich nun hinter sich her. Er sah mich nicht an sondern ging lediglich voraus und umfasste meinen Arm so fest, dass sein Griff blaue Flecken hinterließ.

„Wo... wo bringt Ihr mich hin?" fragte ich, doch ich erhielt keine Antwort.

Er zog mich in die dunklen Gassen, stieß einen heran taumelnden Betrunkenen zur Seite und zog mich in eine kleine Nische.
„Herr?" fragte ich noch einmal und er wirbelte sofort herum und schlug mir schallend ins Gesicht.

„Du sprichst nur, wenn du gefragt wirst, Weib! Kletter dort hinauf!"

Ich tat wie mir geheißen, denn ich hatte zuviel Angst um zu schreien und mich zu widersetzen.

Mir dämmerte bereits, dass dieser Mann unmöglich ein Gelehrter war. Gelehrte töteten nicht, und vor allem nicht in diesem Ausmaß.

Auf den Dach angekommen stieß er mich in eine Dachluke.

Ich war zu überrascht um schreien zu können, doch der erwartete, harte Aufprall blieb aus, da ich auf Kissen landete

Das Plätschern von Wasser drang nun deutlich an meine Ohren.

Ich war so durstig, dass ich sogar glaubte, das Wasser zu riechen.

Doch in diesem Moment, dachte ich nicht mal daran danach zu fragen.

Der Mann landete so gut wie lautlos neben mir auf den Füßen. Er ging in die Knie um den Sprung abzufedern und ich zuckte heftig zusammen, als sein Blick mich traf.

„Bleib dort sitzen!" kommandierte er in einem barschen Ton und ging auf eine Tür zu.

Er schloss diese hinter sich und blieb eine ganze Weile verschwunden.

Nun übermannte mich die Panik. Es fühlte sich an, als würde eine Hand meinen Hals umschließen und mir die Luft abschnüren.

Ich sah mich im Dachgarten um. Hinter mir plätscherte ein kleiner Brunnen, es war trotz der grellen Mittagssonne angenehm kühl, doch das war mir zu diesem Zeitpunkt egal.

Die Soldaten hätten mich getötet... ich wäre bereits längst tot. Doch was tat nun dieser Mann? Was wollte dieser Mann von mir?

Ich traute mich kaum zu Atmen, meine Wange brannte noch von seiner Ohrfeige. Die anderen Verletzungen bemerkte ich kaum, aber das konstante Pochen auf meiner Wange erinnerte mich daran, in was für eine missliche Lage ich nun wieder geraten war.

Er kam zurück in Begleitung eines Mannes. Dieser Trug eine dunkle Robe und hatte einen langen,vollen Bart.

Beide sahen mich an.
„Was willst du mit ihr? Es gibt hübschere Weiber die du nehmen kannst!", fragte der andere nun und blickte mich abschätzend an.

„Es ist egal ob eine Sklavin hübsch ist!", erwiderte der andere ruhig. Seine Stimme war schneidend und wirkte kalt.

Wie Stahl!" schoss es mir durch den Kopf.

„Ach so, du willst sie als Sklavin halten... dachte schon..." Der andere grinste ein wenig, drehte sich dann um und ließ uns stehen.

„Sei vorsichtig auf dem Heimweg Altair, übersende meine Grüßen in Mafyas."

„Werde ich," sprach Altair, ohne den Blick von mir zu wenden.

Er sah mich eine Weile an und auch ich wagte einen kurzen Blick auf ihn zu werfen. Doch sein Gesicht war von einer Kapuze verhüllt und ich erkannte lediglich seinen Unterkiefer und den Mund.

Ich fühlte mich unwohl und wandte meinen Blick bald wieder ab. Daraufhin trat er zu mir. Seine Finger umfassten hart mein Gesicht und zwangen mich ihn anzusehen.

Unter seiner Kapuze war er kaum zu erkennen. Schatten verbargen seine Augen vor mir und ich war nicht in der Lage seine Körpersprache zu deuten.

Doch ich wusste, dieser Mann bedrohte mich!

Das spürte ich in jeder Faser meines Körpers.

Er zerrte mich aus dem Dachgarten in die grelle Sonne, führte mich vor sich durch die belebten Straßen hinaus aus der Stadt.

Es fiel niemanden etwas auf. Keiner fragte, ob ich zu ihm gehörte.
Dies schien wohl daran zu liegen, dass mein jämmerliches Erscheinungsbild wohl darüber Aufschluss gab, dass ich so oder so ein unteres Mitglied der Gesellschaft bin.

Für mich interessierte sich keiner.

Außer... er!

Ende des Prologs