Fallen from grace
Kapitel 35
Tolle Aussichten
Die Ereignisse in den kommenden Wochen überschlugen sich wie so häufig. Hermine hatte nicht nur mit dem Unterricht allerhand am Hut. Auch der Apparierkurs und die Sorge um Severus bzw. die um ihren besten Freund, der immer noch mit der unerlaubten Beziehung zwischen ihr und ihrem gemeinsamen Professor haderte, lagen ihr schwer im Magen. Zwar hatte sie sich, so gut es eben ging, mit Severus ausgesprochen, doch die Spannungen zwischen ihm und Harry lagen jedes Mal, wenn sie in einem Raum zusammen waren, deutlich knisternd in der Luft.
„Hast du was gesagt, Harry?", fragte Hermine zerstreut, als sie eines Abends noch spät mit ihm im Gemeinschaftsraum der Gryffindors beisammen saß und über den Hausaufgaben brütete. Solange es nur nicht um Severus ging, war sie gewillt, ihm ein offenes Ohr zu schenken. Sollte er jedoch wieder anfangen, über ihn herzuziehen, konnte sie für nichts garantieren.
„Ich hatte da eben so einen Gedanken", sagte Harry, der lustlos das alte Buch für Zaubertränke durchblätterte. Offenbar lag ihm etwas so schwer im Magen, dass nicht einmal der Halbblutprinz ihn davon ablenken konnte. „Ich meine, selbst wenn Dumbledore davon ausgeht, dass er sterben wird, muss das noch lange nicht bedeuten, dass es so schnell passiert, oder?"
Hermine riss sich von den züngelnden Flammen im Kamin und deren hypnotischer Wirkung los und setzte ein besorgtes Gesicht auf. „Harry, ich weiß, was du meinst, glaub mir. Aber du hast ihn gesehen. Er ist lange nicht mehr so energisch wie früher. Dumbledore wirkt müde und erschöpft. Außerdem wissen wir jetzt mit Sicherheit, dass Draco ein Todesser ist, was die Sachlage zusätzlich erschwert."
„Ja, weil Snape diesen Schwur geleistet hat – das wolltest du doch damit sagen."
Sie rümpfte die Nase und erwiderte zynisch: „So etwas in der Art."
Harry nickte abwesend. „Es hat jetzt wohl kaum noch Sinn, auf der Karte nach ihm Ausschau zu halten, nicht wahr?"
Irritiert fuhr sie auf und senkte die Stimme, als sie antwortete. „Das klang gerade ziemlich beunruhigend. Hast du Severus und mich etwa heimlich beobachtet?"
„Nein", sagte Harry, obwohl Hermine hätte schwören können, dass es in seinen Augen verräterisch flackerte. „Ich rede natürlich von Draco."
Ungewollt fröstelte sie. Der Gedanke, dass Harry die Karte des Rumtreibers benutzt haben könnte, um damit sie und Severus auszuspionieren, behagte ihr gar nicht. „Das hoffe ich für dich", zischte sie gedankenverloren. „Und um ehrlich zu sein, wäre ich froh, wenn er den Mumm dazu hätte, diesen Auftrag, den Voldemort ihm erteilt hat, selbst auszuführen, dann wäre Severus wenigstens aus dem Schneider."
„Aha", stimmte Harry wenig überzeugt zu. „Das glaube ich dir sofort. Aber langsam denke selbst ich, dass nicht mal Draco das Zeug dazu hat, jemanden zu töten."
„Dann bist du also nicht mehr der Meinung, dass er Katie auf dem Gewissen hat?"
Er zuckte die Achseln. „Na ja, das Halsband war bestimmt nicht für sie, sondern für Dumbledore vorhergesehen."
„Dass ich den Tag mal erleben würde, an dem du dich für Draco einsetzt, hätte ich nie gedacht", bemerkte sie erstaunt.
Harry zog die Stirn kraus. „Tue ich auch nicht. Ich will damit nur sagen, dass es jetzt endlich einen Sinn ergibt, schließlich sitzt ihm Voldemort im Nacken. Da möchte ich nicht in Dracos Haut stecken."
Diese recht überraschende Einstellung Draco gegenüber sollte er jedoch bald daraufhin wieder revidieren, als nämlich vollkommen unvermittelt Ron an seinem Geburtstag eine Schachtel mit einem Liebestrank versehener Pralinen verputzte, die ursprünglich Harry zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. Ron führte sich auf wie ein verliebter Hornochse, also blieb Harry gar nichts anderes übrig, als ihn zu Slughorn zu bringen, um ihm mit dessen Hilfe ein Gegengift zu verabreichen. Erstens, weil er hoffte, bei Slughorn voranzukommen, was Dumbledores Auftrag betraf. Zweitens, weil es ihm zuwider war, bei Snape um Rat zu bitten.
Nachdem Professor Slughorn den armen Ron erfolgreich von dem Liebeszauber befreit hatte, wollten die drei zur Feier des Tages mit einer Flasche kostbaren Mets auf den Geburtstag des jungen Mr Weasley anstoßen, was sich jedoch als fataler Fehler erweisen sollte, denn kaum hatte Ron davon getrunken, wurde er von einer heftigen Vergiftung heimgesucht. In letzter Sekunde gelang es Harry, unter den entsetzten Blicken des offenbar überforderten Professors, die Vergiftung einzudämmen, indem er verzweifelt Slughorns Giftschrank durchwühlte und Ron einen Bezoar in den Mund stopfte. Dieser Geistesblitz kam nicht von ungefähr; einmal mehr musste Harry feststellen, dass das Buch des Halbblutprinzen, das er seit Schulbeginn von vorn bis hinten durchgeackert hatte, seinen Nutzen zeigte.
Inzwischen lag Ron im Krankenflügel und war auf dem Weg der Besserung, dennoch steckte Harry und Hermine der Schock immer noch in den Knochen, als sie gemeinsam an Rons Bett saßen und darauf warteten, dass ihr Freund wieder zu Kräften kam. Nachdem Harry mit einem Muffliato ihre Stimmen gedämpft hatte, damit Madam Pomfrey nichts davon mitbekommen konnte, begannen auch schon die wildesten Spekulationen.
"Ich bin mir nicht sicher, ob ich an den Bezoar gedacht hätte, wenn ich nicht erst kürzlich in dem Buch des Halbblutprinzen darauf gestoßen wäre, Hermine."
Sie zog immer noch zutiefst betroffen aufgrund des Vorfalls die Nase hoch. Nicht auszudenken, was dann passiert wäre. "Wenn du schon früher in Zaubertränke aufgepasst hättest, hättest du wissen müssen, dass der Bezoar ein wirksames Gegenmittel für die meisten Gifte darstellt."
"Ich weiß, dass das für ein Superhirn wie dich nur schwer vorstellbar ist, aber nicht jeder hat die Begabung, sich alles zu merken, was irgendwann mal einer der Lehrer erzählt hat."
Hermine biss sich auf die Lippe. "Es war in unserer ersten Zaubertränkestunde. Severus – ähm – er hat uns damals ziemlich fertig gemacht, weißt du noch?"
Ein böses Lachen ertönte. "Damals? Wie nennst du dann die Show, die er in Verteidigung gegen die dunklen Künste abzieht?"
Hermine seufzte verträumt, als würde sie in alten Erinnerungen an ihre ersten innigen Begegnungen mit Severus schwelgen, und wechselte schnell das Thema. Es hatte keinen Sinn, näher darauf einzugehen. "Glaubst du wirklich, dass Ron schläft?", fragte sie unsicher. "Ich will nichts riskieren."
Er legte den Kopf schief. "Keine Sorge. Ich erkenne einen schlafenden Ron, wenn ich ihn sehe. Wenn du dir also um dein kleines Geheimnis Sorgen machst, das musst du nicht. Wir sind hier vollkommen sicher."
Als Harry sah, dass sie nicht gerade überzeugt wirkte, beugte er sich über das Bett, hob Rons Arm hoch, schüttelte ihn kräftig durch und ließ ihn dann wieder fallen, um seine Reaktion zu testen. Wie zu erwarten gewesen war, geschah nichts. Ron regte sich nicht die Spur.
"Zufrieden?", fragte er schelmisch grinsend. "Der ist total fertig."
Beschwichtigt räusperte sich Hermine. "Also, dann mal los. Was hat Dumbledore gesagt?"
"Nicht viel. Er war nur kurz hier. Fast so, als wollte er dem ganzen Rummel um Slughorn und den Weasleys lieber aus dem Weg gehen."
"Das wundert mich nicht. Er macht sich in letzter Zeit immer häufiger rar. Vermutlich will er nicht, dass die anderen Mitglieder des Ordens zu viel in seinen angeschlagenen Gesundheitszustand rein interpretieren."
"Vielleicht wollte er aber auch einfach nur schnell zurück in sein Büro, um sich vor einem Mord lüsternen Draco in Sicherheit zu bringen. Da fällt mir ein … ich brauch dringend einen Ersatz für Ron. Dieser McLaggen ist nicht gerade sympathisch, könnte aber vorübergehend für ihn einspringen …"
Hermine warf ihm einen kritischen Seitenblick zu. Quidditch war so ziemlich das Letzte, worüber sie hatte reden wollen. "Hast nicht kürzlich erst du selbst gesagt, dass Draco nicht das Zeug dazu hat, jemanden zu töten?"
"Jaah, schon. Das war jedoch, bevor er fast meinen besten Freund vergiftet hätte. Hier hingegen haben wir den Beweis für einen zweiten Anschlag auf einen Schüler liegen. Wer sonst, außer natürlich Snape, hätte es auf Dumbledore abgesehen haben können?"
Sie presste die Lippen aufeinander. „Slughorn hat bestätigt, dass die Flasche mit dem Met für Dumbledore bestimmt war", knurrte sie. „Die Todesser wollen Dumbledore beseitigen, das ist kein Geheimnis. Aber vielleicht wusste Draco ja tatsächlich nichts davon. Ich meine – lass uns das nur mal in Erwägung ziehen – es wäre doch möglich, dass er einen Gehilfen hatte."
Harry schüttelte ungläubig den Kopf. "Das glaubst du doch nur, weil Snape dir das gesagt hat. Und was Draco angeht, der hat sich neulich erst während des Apparierkurses mit Crabbe und Goyle gestritten. Es war eindeutig, dass er keine Hilfe wollte, bei dem, was auch immer plant. Nicht mal von Snape."
„Natürlich glaube ich Severus", funkelte Hermine ihn an. „Wir haben keine Beweise gegen Draco in der Hand. Du weißt selbst, dass er sich seit Beginn des Schuljahres von Severus distanziert hat, was es ihm nicht gerade leichter macht, zu ihm durchzudringen."
"Ich wünschte wirklich, seine blöde Tante Bellatrix hätte ihm keine Okklumentik beigebracht", sagte Harry missmutig schnaubend.
"Dafür ist es zu spät. Severus hat es bereits versucht."
"Sicher. Ich war nämlich dabei."
"Oh … richtig. Bei dem ganzen Rummel in letzter Zeit hab ich vollkommen vergessen, dass du sie belauscht hast." Sie rieb sich angestrengt die Schläfen. "Wo waren wir stehen geblieben?"
"Bei Ron und dem Met."
Hermine gähnte. "Vielleicht hat Draco das Zeug ja hier in der Schule zusammengemischt."
"Das wäre eine Idee, denn niemand kommt ungesehen ins Schloss. Alle Eingänge werden überwacht. Selbst die geheimen, die nur auf der Karte des Rumtreibers verzeichnet sind. Und jeder, der rein oder raus will, muss sich einer Durchsuchung unterziehen. Da fällt mir was ein! Merkwürdigerweise habe ich in letzter Zeit immer wieder beobachtet, dass Draco plötzlich verschwunden war."
„Verschwunden?", fragte sie stutzig. „Wie meinst du das?"
„Er war auf der Karte nirgends zu sehen. Also, was glaubst du, wie Draco es geschafft hat, den Met in die Schule zu schmuggeln?"
„Darüber kann ich nur spekulieren." Sie streckte müde ihre Glieder. „Wie gesagt, es gibt drei Möglichkeiten. Entweder hatte er einen Gehilfen oder er hat das Gift hier angemischt. Selbst dann, wenn dem nicht so gewesen wäre, hätte er die Flasche mit großer Wahrscheinlichkeit aber auch getarnt als Geschenk nach Hogwarts schaffen können. Nicht jedes Gift lässt sich auf die Schnelle feststellen. Außerdem ist das nicht das, wonach die Geheimnisdetektoren suchen. Sie sollen schwarzmagische Objekte ausfindig machen, keine Gifte oder Spielereien. Wie sonst sollten es die Scherzartikel der Weasleys immer noch hier rein schaffen?"
"Da ist was dran. Vielleicht sollte ich Romilda fragen, wie sie die Pralinen reingeschmuggelt hat, die sie mir andrehen wollte."
Hermine lächelte schmal und drückte Rons Hand. "Armer Ron. Gleich zwei Vergiftungen auf einmal, das haut selbst den stärksten Weasley von den Socken."
Während Ron langsam auf dem Weg der Besserung war, bekam Hermine zu spüren, dass zwischen ihr und Severuns noch längst nicht alles im Reinen war. Immer wieder zeigte er ihr bei gewissen Begebenheiten die kalte Schulter, was nicht hieß, dass er sie rigoros ignorierte. Hermine schob seine kühle Zurückhaltung, die er bisweilen zeigte, auf den Stress, der ihn umgab; egal ob im Unterricht oder privat. Dumbledores sich darüber hinaus beständig verschlechternder Gesundheitszustand blieb ihr ebenso wenig verborgen wie die Tatsache, dass Draco fast gänzlich von der Bildfläche verschwunden war. Nur noch sehr selten bekam sie ihn zu Gesicht, was immer wieder zu neuen Fragen führte.
"Dumbledore sieht nicht gut aus. Was denkst du, wie es weitergehen wird, wenn noch jemand außer uns seinen Zustand bemerkt?", sagte sie seufzend an Severus gewandt und kuschelte sich in die Biegung seines nackten Körpers. Seit geraumer Zeit schlich sie nun beinahe jeden Abend zu ihm in die Kerker hinab, um mit ihm die Nacht zu verbringen. Dumbledore hatte, soweit sie von Harry wusste, kein Wort mehr darüber verloren. Oder, was Hermine für wahrscheinlicher hielt, sowohl er als auch Severus schwieg beharrlich über die Details, die sich im Verborgenen zwischen ihnen und dem Schulleiter abspielte.
Er nahm seine Hand, legte ihr den Zeigefinger auf die Lippen und brummelte leise vor sich hin: "Wie oft willst du mich das noch fragen?"
Hermine verkniff sich ihr Lächeln und nahm seine Hand in ihre. "Bis du aufhörst, mir die Wahrheit vorzuenthalten."
"Das kann dauern", schnaubte er sanft in ihr wirres Haar hinein.
"Weißt du", begann sie nachdenklich, "mir kommt alles wie in einem merkwürdigen Traum vor. So wie damals, als Sirius gestorben ist. Mit dem Unterschied, dass wir wissen, dass Dumbledore so gut wie verloren ist."
Er hob den Kopf und beugte sich über sie. "Du machst dir zu viele Gedanken", sagte er eindringlich.
Sie klemmte ihre Lippe zwischen die Zähne. "Möglich. Aber es ist nicht gerade hilfreich, dass ich weiß, dass du versuchst, mich in Schutz zu nehmen, indem du mir die Details zu euren Plänen vorenthältst."
Zwischen seinen Brauen tauchte die altbekannte Furche auf. "Ich habe dir fast alles gesagt, was ich darüber weiß."
Als sie sein ernstes Gesicht so nah vor sich sah, blinzelte sie reumütig. "Und du bist sicher, dass es keinen Weg gibt, um diesen Schwur zu umgehen?"
"Nicht dass ich wüsste", sagte er und schüttelte träge den Kopf, wobei seine langen Strähnen zart ihre Wangen streiften.
Hermine legte ihre Arme um seinen Nacken und zog ihn zu sich. Im selben Moment kam er ihr entgegen und rollte sich auf sie. Schaudernd genoss sie die Nähe zu ihm. Das Gefühl, Severus so innig bei sich zu haben, überwältigte sie jedes Mal wieder. Wenigstens für eine kurze Zeit fühlte sich die Welt dabei nicht mehr ganz so grau und trostlos an.
"Glaubst du, wir werden eines Tages dazu in der Lage sein können, uns unbeschwert in aller Öffentlichkeit zu bewegen?"
Er drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. "Hör auf, mich mit Dingen zu löchern, die ich dir sowieso nicht beantworten kann. Im Moment müssen wir zusehen, so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf uns zu lenken."
Sie ließ ihre Hände seinen Rücken hinab gleiten und versenkte genüsslich ihre Nägel in seinen Pobacken, womit sie ihm ein wohliges Brummen entlockte. "Ich weiß, du willst es nicht hören, doch ich mach mir riesige Sorgen um dich."
Er antwortete nicht. Seine Hände aber umfassten ihr Gesicht, dann sah er ihr tief in die Augen. "Angenommen, wir müssten bereits morgen getrennter Wege gehen, wärst du bereit, etwas für mich zu tun?"
"Was für eine grauenhafte Vorstellung, Severus!"
"Versprich mir, dass du auf Potter aufpassen wirst, wenn es soweit ist. Weasley mag zwar sein Freund sein, aber was den Grips angeht, würde ich nicht auf ihn setzen. Die beiden tendieren zweifelsohne dazu, sich von einer Schwierigkeit in die nächste zu manövrieren."
Trotz des unverkennbaren Ernstes in seiner Stimme dachte sie gar nicht daran, weiter darauf einzugehen. Je mehr er allein damit klarkommen wollte, desto energischer und beharrlicher wurde sie in ihrem Bemühen, ihm zur Seite zu stehen und zu ihm durchzudringen. Bei ihren Unterhaltungen mit Harry war es das gleiche. Er wich ihren Fragen wiederholt aus oder verstellte sich, um sie in Schutz zu nehmen. Sobald sie jedoch den Spieß umdrehte, tat er alles ab.
„Das hat Snape gesagt? Wozu?"
„Er möchte eben, dass ich auf dich aufpasse", sagte Hermine wahrheitsgemäß.
Harry lachte bitter auf – ein Fehler, denn die Bibliothekarin von Hogwarts verstand keinen Spaß.
„Ruhe!"
„Ausgerechnet er?", hakte Harry etwas leiser an Hermine gewandt nach. „Das ist doch absolut lächerlich."
Verunsichert zuckte sie mit den Schultern. "Keine Ahnung, was ich prinzipiell davon halten soll. Aber irgendwie ist schon was dran. Was würdest du denn tun, wenn die Todesser hier in Hogwarts sind? Mit ihnen würde sich einiges ändern."
„Dasselbe, was wir immer getan haben."
„Ich bezweifle, dass sie uns weiterhin zusammen zur Schule gehen lassen würden, Todesser mögen keine Muggelgeborenen."
„Darüber mach dir jetzt mal keine Gedanken. Dumbledore wird das niemals erlauben."
„Dumbledore wird sterben, Harry", flüsterte Hermine mit Nachdruck.
„Noch ist es nicht soweit."
„Du hoffst also auf die Option, dass er ein paar weitere Jahre durchhält, richtig? Ist dir nicht klar, wen Voldemort als neuen Schulleiter benennen wird? Severus ist die einzig logische Wahl."
„Wenn das so ist, brauchst du dir ja wegen der Todesser keine Sorgen zu machen. Wenigstens du verstehst dich blendend mit Snape."
Hermine, die im Geiste bereits jedes nur erdenkliche Szenario durchgegangen war, wollte sich nicht so leicht geschlagen geben und schlug demonstrativ das Buch zu, das sie aus dem Regal genommen hatte, um es sich aus dem Fundus der Bibliothek auszuleihen. Steif reckte sie ihr Kinn in die Höhe. Im selben Moment lugte warnend Madam Pince um die Ecke; Hermine ignorierte sie und antwortete flüsternd. "Ich rede nicht von Severus. Ich rede von den richtigen Todessern. Dir ist doch wohl nicht entgangen, dass sie dich in die Finger kriegen und an Voldemort übergeben wollen."
„Du meinst, die Auroren sind nur meinetwegen an Hogwarts", wich Harry zynisch aus. Er schüttelte etwas zu energisch den Kopf, stand auf und rempelte mit dem Ellenbogen versehentlich seine Schultasche an, so dass diese von der Tischkante segelte und der gesamte Inhalt sich auf dem Boden verteilte.
„Warte." Instinktiv bückte sich Hermine und reichte ihm seinen Kram.
„Vielleicht drehen wir aber auch einfach langsam alle durch. Es muss ja nicht dazu kommen."
"Ja, aber wenn doch, was dann? Ich glaube nicht, dass wir weiter hierbleiben können, wenn der Ernstfall eintritt. Ohne Dumbledore, meine ich."
„Schon klar, was du meinst", räumte er beschwichtigend ein. „Ich lege nur keinen Wert darauf, es herauszufinden. Ehrlich, solange wir ihn haben, sind wir wenigstens einigermaßen sicher."
„Darum geht es ja gerade … hier ist noch ein Aufsatz, den hast du übersehen." Sie zog ein Stück Pergament unter dem Stuhl hervor, warf einen Blick darauf und machte ein strenges Gesicht. „Das ist eine ganze Liste unbekannter Zaubersprüche. Wo hast du die nur alle her?"
„Als ob du das nicht wüsstest", entgegnete Harry fahrig. „Außerdem sind die nicht neu, sondern eben bloß nicht besonders populär."
„Du solltest endlich aufhören, dir weiterhin das Buch des Prinzen einzuverleiben. Ich hab ein verdammt ungutes Gefühl dabei. Wenn jemand herausfindet …"
„Gib schon her. Madam Pince sieht verdächtig oft in unsere Richtung."
Sie reichte ihm verärgert das Pergament. Kommentarlos nahm er es entgegen und stopfte es in seine Tasche.
„Das mit den Todessern war übrigens mein voller Ernst, Harry", erwähnte Hermine brüsk.
„Meiner vielleicht nicht? Snape hat einen Freifahrtschein von Dumbledore bekommen, damit er für seine Vergehen nicht nach Askaban muss, gleich in mehrfacher Hinsicht, wie mir scheint. Und noch was, Hermine. Wie du es auch drehst und wendest, Snape ist ein richtiger Todesser. Draco übrigens auch."
Entrüstet starrte sie ihn an, unfähig, eine sinnvolle Antwort zum Besten zu geben. „Das ist – du bist … Was bitteschön hat denn jetzt auch noch Draco damit zu tun?"
„Keine Ahnung. Ist mir nur eben so eingefallen."
So sehr Hermine auch hoffte, endlich irgendeinen Fortschritt zu erzielen, hatte es keinen Sinn, Harry oder Severus weiter zu bearbeiten. Beide schienen sich zu weigern, mit ihr über das Unmögliche reden zu wollen, fast so, als hätten sie sich heimlich abgesprochen. Da das jedoch kaum der Fall sein konnte, tat sie den Gedanken schnell wieder ab und grübelte allein weiter.
Das Quidditch-Spiel stand an, und als wäre ein verletzter Freund nicht schon genug gewesen, musste sich am Ende auch noch Harry im Krankenflügel einfinden, um Ron dort Gesellschaft zu leisten. Hermine konnte nur den Kopf darüber schütteln. Wie sollten sie Voldemort etwas entgegensetzen, wenn die Jungs nicht in der Lage waren, ein bisschen besser auf sich aufzupassen? Ganz zu schweigen davon, dass Severus auch keine Hilfe darstellte. So stur, wie er sein konnte, würden sie noch ewig brauchen, endlich voranzukommen. Doch diese Zeit hatten sie nicht. Es war zum verrückt werden mit allen dreien!
Fieberhaft überlegte sie, wie sie sie zur Vernunft bringen konnte. Die Zügel locker lassen, war keine Option. Besser, sie würde die Sache selbst in die Hand nehmen. Aber auch hier hieß es warten, die Lernerei erledigte sich schließlich nicht im Schlaf. Dazu kam noch das übliche Durcheinander, das den Schulalltag an Hogwarts und das Leben in der Welt der Zauberer eben so besonders machte: Patzer beim Üben des Apparierens, voreilig gezückte Zauberstäbe, beendete Liebesbeziehungen, die ohnehin zum Scheitern verurteilt waren, und natürlich den ein oder anderen Zwischenfall rund um den Orden. Zu guter Letzt stellte sich obendrein unter Beweis, dass sich an dem auf Gegenseitigkeit beruhenden Hass zwischen Harry und dem Professor nichts geändert hatte. Ob es an der bedrückenden Ausstrahlung des Klassenzimmers lag, die mit der auf dem Gesicht ihres Lehrers übereinstimmte, vermochte Hermine nicht zu sagen, jedenfalls stand die bevorstehende Stunde in Verteidigung gegen die dunklen Künste unter keinem guten Stern. Severus hatte noch nicht einmal alle Hausaufgaben eingesammelt, da schwebte er schon auf die Pulte der drei Freunde zu. Seine Schritte lang, seine Miene steinhart.
„Was soll das sein, Potter?", fragte er schnarrend und kam ruckartig vor Harry zum Stehen. In der Hand hatte er ein Blatt Pergament, das er diesem unsanft an die Brust drückte.
Harry wurde bleich. „Meine Hausaufgaben." Eine Pause trat ein, ehe er sich dazu durchringen konnte, zähneknirschend das Wörtchen „Sir" anzufügen.
Severus, der wie angewurzelt und mit bebenden Nasenflügeln vor seinem Schüler Stellung bezogen hatte, wirkte mehr als außer sich. Nur unter größter Anstrengung konnte er sich zurückhalten, Harry am Kragen gepackt zu sich über den Tisch heranzuziehen.
Die gesamte Klasse verharrte schweigend, während die beiden sich kampfeslustig taxierten, und Hermine hielt, wie alle anderen auch, gebannt den Atem an. Sie konnte das alles einfach nicht glauben. Ihre Hoffnungen, die beiden eines Tages im Unterricht nicht mehr ineinander verkeilt vorzufinden, zerstreuten sich abermals.
„Nun", sagte Severus in schneidendem Ton, „wenn Sie das nächste Mal Ihre Hausaufgaben machen, sollten Sie darauf achten, dass Sie mit Ihren Gedanken auch bei der Sache sind. Und jetzt händigen Sie mir das Buch aus, das Sie unerlaubterweise an sich genommen haben."
Harry erwiderte nichts. Schweiß perlte auf seinen Schläfen, als er sich nach seiner Schultasche bückte und ihm sein Exemplar Zaubertränke für Fortgeschrittene reichte. Nur sehr schleppend überwand er sich, dem daraufhin beginnenden Unterricht zu folgen.